Bei einem Bewerbungsgespräch haben viele immer noch die Vorstellung von zwei Personen, die sich gegenübersitzen und Fragen zu Stärken, Schwächen und dem Lebenslauf besprechen. Auch wenn dies oft noch Teil des Einstellungsprozesses ist, bietet ein Case Interview eine gute Möglichkeit, die eher praktischen Fähigkeiten und Soft Skills der Kandidat*innen zu bewerten. Erfahren Sie hier, was ein Case Interview genau ist und wie Sie ein solches durchführen.
Ein Gastbeitrag von Louise Koeckhoven
Was ist ein Case Interview?
In einem Case Interview bzw. Fallgespräch lassen Sie als Interviewer*in die sich bewerbenden Person einen Geschäftsfall lösen, um festzustellen, wie sie über dieses Thema denkt und welche Lösung sie vorschlägt. Dieser Schritt folgt in der Regel auf ein erstes oder zweites Bewerbungsgespräch. Im Case Interview sind dann oft mehrere Gesprächsteilnehmende aus dem Unternehmen beteiligt.
Üblicherweise haben Sie den Case schriftlich vor sich und führen die/den Bewerbende/n zu Beginn kurz in den Fall ein. Anschliessend geben Sie ihr/ihm ein paar Minuten, um klärende Fragen zu stellen. Der Kandidat oder die Kandidatin hat dann entweder ein paar Tage zu Hause oder, wenn sie vor Ort sind, etwa eine Stunde in den Büros Zeit, um eine Lösung und deren Präsentation vorzubereiten. Die Präsentation findet vor einer Jury statt, die zum Schluss noch Fragen stellen kann.
Warum ein Case Interview durchführen?
Ein Case Interview dient im Allgemeinen dazu, die Soft Skills und praktischen Fähigkeiten eines Kandidaten oder einer Kandidatin zu beurteilen, wie z. B. Präsentationskompetenz und logisches Denken. Anhand eines Cases lassen sich Fähigkeiten besser nachweisen als in einem persönlichen Gespräch. Es gibt Menschen, die sich zwar nicht gut verkaufen können, deren Fähigkeiten aber in der Anwendung grossartige Leistungen zeigen, oder umgekehrt.
Case Interviews werden häufig von Consulting-Unternehmen durchgeführt, können aber auch in anderen Bereichen eingesetzt werden. Sie sind besonders nützlich für Stellen, bei denen strategisches und analytisches Denken in Kombination mit Soft Skills gefragt ist, zum Beispiel für Mitarbeitende im IT-Projektmanagement, Digitalen Marketing, HR oder Management. Fallgespräche können aber auch zum Testen des Potenzials einer Person eingesetzt werden, z. B. für Talent-Programme oder Junior-Rollen. Wichtig ist, dass Sie den Inhalt des Falls an die Rolle anpassen, für die Sie den Kandidaten oder die Kandidatin vorsehen.
CASE-BEISPIEL 1:
Sie arbeiten als HR Business Partner für unser Unternehmen. Sie sind das Bindeglied zwischen der zentralen Personalabteilung und einer Geschäftseinheit, die Verpackungen für ein Sportartikelunternehmen herstellt. Die Leitung der Geschäftseinheit hat sich darüber beschwert, dass die Verweildauer im Unternehmen auf durchschnittlich 1,2 Jahre gesunken ist und die durchschnittlichen Absenzen auf 10 pro Jahr gestiegen sind.
- Erläutern Sie uns Ihre ersten 5 Schritte, um diesen Tendenzen entgegenzuwirken.
- Welche Art von Informationen benötigen Sie dazu?
CASE-BEISPIEL 2:
Willkommen, Sie sind neu die führende Person im Online-Marketing einer Sonnenbrillenmarke und für den DACH-Markt zuständig. Ihre Vorgesetzte hat Ihnen jedoch gerade mitgeteilt, dass Sie das gleiche Budget behalten, aber zusätzlich entweder Polen oder Slowenien als Markt übernehmen müssen. Ihr Budget bleibt bei 5 Millionen pro Jahr und das Unternehmen drängt auf Marktwachstum in weiteren Ländern.
- Wo und in welche Art von Werbung würden Sie das Geld investieren?
- Wie kommunizieren Sie die Kürzung des Budgets auf den bestehenden Märkten?
Was sollte ein Case umfassen?
Beim Verfassen eines Falls sollten Sie folgende Punkte beachten:
1. Wählen Sie ein für Ihr Unternehmen relevantes Thema
Am sinnvollsten ist es, einen realistischen Fall zu wählen, der für Ihr Unternehmen relevant ist, aber von einer aussenstehenden Person lösbar ist. Erstens, weil Sie einschätzen wollen, wie sich die Person in die Denk- und Handlungsweise Ihres Unternehmens und Ihrer Branche einfügen würde. Zweitens, weil dies auch der Kandidatin oder dem Kandidaten hilft, einzuschätzen, ob die Stelle tatsächlich zu ihm passt. Denn die Vorstellungsgespräche sind ein Beurteilungsprozess für beide Seiten, bei dem sowohl der Arbeitgeber als auch die sich bewerbende Person feststellen müssen, ob sie zueinander passen. Und drittens kann Ihr Unternehmen immer von den Ideen der Kandidat*innen profitieren, da sie Ihre Firma mit neuen Augen betrachten und so vielleicht auch Ihr Team inspirieren können.
2. Wählen Sie die Informationen mit Bedacht
Seien Sie bei der Ausformulierung des Falls nicht zu vage, aber achten Sie auch darauf, die Kandidat*innen nicht zu sehr einzuschränken. Legen Sie den Kontext des Problems fest, nennen Sie einige Zahlen und formulieren Sie das Problem selbst klar, aber geben Sie nicht zu viele Details an. Die Annahmen, die die Person trifft, kann bereits viel über ihre Branchenkenntnisse und ihr praktisches Denken aussagen. Ausserdem möchten Sie natürlich nicht zu viele Informationen über das Unternehmen preisgeben, ziehen Sie also keine konkreten Zahlen oder zukünftigen Produkte mitein.
3. Legen Sie klare Erwartungen fest
Erklären Sie im Voraus, wie viel Zeit der/die Bewerbende für die Vorbereitung hat, was Sie von der Präsentation erwarten und welche Hilfsmittel er/sie bei der Vorbereitung verwenden darf. Darf ihr Gegenüber z. B. googeln und Excel verwenden oder sollte er/sie alles im Kopf haben? Erläutern Sie, wie lange die Präsentation ungefähr sein sollte und wer die Gesprächsteilnehmenden sein werden. Klare Erwartungen können Ängsten und Unsicherheiten vorbeugen, damit die Kandidat*innen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten selbstbewusst aufzeigen können. Achten Sie auch hier auf mässige Einschränkungen und Vorgaben. Sie wollen wissen, was die sich bewerbende Person kann, also geben Sie ihr Raum, kreativ zu sein. Die Rekrutierungstrends gehen heutzutage in Richtung eines kollegialen und integrativeren Umgangs mit den Bewerbenden.
Wer soll an der Präsentation des Case Interviews teilnehmen?
Auch hier geht es um die Balance. Ein überfüllter Raum kann die Kandidat*innen einschüchtern und führt oft nur zu mehr Stimmen und Meinungen als nötig. Der Case sollte aber auch nicht einseitig beurteilt werden. In der Regel sollten Sie etwa drei bis vier Personen für die Präsentation des Falles vorsehen. Hier empfiehlt es sich, jeweils ein Jurymitglied aus der Abteilung, in der die Stelle zu besetzen ist, aus einer Abteilung, mit der er oder sie viel zusammenarbeiten wird, aus der Personalabteilung und möglicherweise jemanden mit langjähriger Erfahrung in der Firma oder einer Führungsposition einzubeziehen. Die Anwesenheit von Personen mit unterschiedlichen Standpunkten und Verantwortlichkeiten erhöht die Chance, die ideale Besetzung für die Rolle zu finden.
Informieren Sie die Teilnehmenden im Vorfeld über den Case und den Informationsstand der sich bewerbenden Person und bitten Sie sie eventuell sogar, auf eine bestimmte Fähigkeit zu achten. Laden Sie ihre Kolleg*innen auch dazu ein, konstruktive Fragen zu stellen und bei der Bewertung aufgeschlossen und fair zu sein. Seien Sie selbst offen dafür, eine Person mit einer ganz anderen Sichtweise einzustellen. Oft neigen wir dazu, Menschen zu rekrutieren, die so denken und handeln wie wir, aber es ist erwiesen, dass die vielfältigsten Teams auch die leistungsstärksten sind. Gerade in Zeiten von Diversity & Inclusion ist es wichtig, Menschen willkommen zu heissen, die ganz andere Perspektiven einbringen können.
Wie funktioniert die Beurteilung von Kandidat*innen in einem Case Interview?
Dies hängt stark vom Inhalt des Case ab. Wenn Sie eine Bewertung für die Finanzplanung vornehmen, können Sie eine geschätzte Bandbreite von Ergebnissen angeben, bei der Marketingplanung könnte dies jedoch schwieriger sein. Es ist wichtig, dies im Vorfeld mit der Jury zu besprechen. Wonach genau suchen Sie? Welche Soft Skills sind in dieser Rolle und diesem Team wichtig und was ist ein absolutes No-Go?
Gut ist, wenn Sie eine ungefähre Erwartung an das Ergebnis haben, aber auch darauf vorbereitet sind, überrascht zu werden. Deshalb ist es wichtig, jedes Fallgespräch direkt danach mit der gesamten Jury zu besprechen. Versuchen Sie, das Ergebnis zu bewerten, aber notieren Sie auch einen allgemeinen Eindruck vom praktischen Denken und Potenzial der sich bewerbenden Person. Da Sie wahrscheinlich mehrere Bewerbende haben werden, lohnt es sich, einige Kommentare darüber aufzuschreiben, was Ihnen allen gefallen hat und welche Bedenken Sie bei dieser Person haben. Vereinbaren Sie vielleicht auch ein abschliessendes Gespräch, um die Ergebnisse aller Kandidat*innen zu vergleichen und gemeinsam eine Entscheidung zu treffen.
Zusammenfassend sind Fallinterviews ein äusserst nützliches Instrument zur Beurteilung der analytischen, strategischen und sozialen Fähigkeiten der Kandidat*innen. Alle oben beschriebenen Punkte gelten sowohl für Online- als auch für Offline-Case-Interviews. Denken Sie dabei daran, dass der Fall relevant sein sollte, dass die Kommunikation über die Erwartungen sowohl für die sich bewerbende Person als auch für die Jury entscheidend ist, und dass eine offene Haltung zu positiven Überraschungen führen kann.
Louise Koeckhoven arbeitet seit 5 Jahren in der Personalbeschaffung und Entwicklung, sie ist Strengths Coach und Content Manager und ihre Mission ist es, andere darin zu bestärken, die Extrameile zu gehen. Sie stammt aus den Niederlanden und lebt seit 4 Jahren in der Schweiz. Louise Koeckhoven weiss, wie man seine Schwächen bekämpft, indem man sich auf seine Stärken fokussiert, und wie man traditionelle Denkmuster durchbricht, indem man von neuen Personen und Kulturen lernt.