Heutzutage ist Agilität in der Softwareentwicklung und in anderen Disziplinen nicht mehr weg zu denken und hat frühere Projektmethoden, z. Bsp. das Wasserfallmodell, abgelöst. Doch: Wo können nun agile Methoden im HR Einzug halten und wie kann HR eine agile Organisation unterstützen?
Ein Gastbeitrag von Jérémie Agard
Agilität ist nichts Neues
Agile Arbeitsmethoden existieren nicht erst seit vorgestern, sondern wurden in seinen Grundzügen bereits zu Beginn der 1990er Jahre angewendet. Wirklich populär wurde die agile Softwareentwicklung durch Kent Becks Buch zum Thema Extreme Programming sowie durch das Agile Manifesto, welches im Jahre 2001 von 17 Software-Entwicklern in Utah verabschiedet wurde. Die Eigenschaften von Agilität im Arbeitskontext lassen sich grob in drei Aspekte einteilen:
- Zyklus (Sprint, Iteration):
- Herunterbrechen des Gesamtzieles in einzelne Teil-Ziele
- Kürzere Iterationen, schnellere Anpassung an Kundenbedürfnisse
- Team:
- Teamziele sind wichtiger als Einzelziele
- Entscheidungen werden im Team getroffen
- Kundenfokus:
- Einbezug der Kunden in den Prozess durch regelmässiges Feedback
- Schnelle (agile) Anpassung der Strukturen und Prozesse
Wie agil schätzt sich HR selber ein?
Die Ergebnisse einer im Jahr 2018 von Kienbaum und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung für das Whitepaper “All-Agile HR» durchgeführten Umfrage, basierend auf einer Befragung von Personalern aus 118 Unternehmen, ist ernüchternd. Zwei Drittel der Teilnehmenden beurteilten den Agilitätsgrad ihrer HR-Tätigkeiten im Schnitt nur mit “Basic”:
Wenn man an die klassischen HR-Prozesse denkt, sieht man den Nutzen von agilen Methoden nicht auf den ersten Blick. Doch es gibt in vielen Bereichen verstecktes Potenzial. Dazu hat mich unter anderem der Blogbeitrag von Jan C. Weilbacher inspiriert. In meinen Augen kann HR durchaus ein Treiber und/oder Unterstützer von agilen Methoden in Unternehmen sein und selber nach agilen Methoden arbeiten. In diesem Beitrag fokussiere ich mich auf Beispiele aus den folgenden Bereichen des HRM:
- Employer Branding
- Recruiting
- Personalentwicklung
- Entlöhnung
- HR-Administration
Employer Branding
Am Beispiel eines Projektes zur Umsetzung einer neuen Employer Branding Strategie kann eine agile Herangehensweise der Schlüssel zum Erfolg sein. Dabei bildet die Zusammensetzung von interdisziplinären Teams die Grundlage. Dabei müssen Mitarbeitende aller Stufen, Bereiche und Standorte miteinbezogen werden. Bereits da beginnt der agile Ansatz.
Des weiteren verändern sich in der heutigen Zeit des häufigen Change in Unternehmen die Produkte, Fokusthemen aber auch die Firmenkultur öfters als bisher. Den häufig ändernden Kundenbedürfnissen (in diesem Falle intern wie auch extern) kann bei der Umsetzung einer Employer Branding Strategie anhand der Scrum Methodik Rechnung getragen werden. Anpassungen sind so schneller möglich und ein fixer Bestandteil des Prozesses.
Recruiting
HR Mitarbeitende als Coaches und Teams als Entscheider: Einen Recruiting Prozess mit agilen Methoden aufzustellen bedeutet auch, dass der Kunde in den Fokus kommt! Wenn wir im Recruiting Prozess von Kunden sprechen, dann sind dies neben den Bewerbenden vor allem die Teammitglieder. Diese von Anfang an in den Bewerbungsprozess (von der Erstselektion bis zum finalen Entscheid) mit-einzubeziehen entspricht dem agilen Mindset. Das HR agiert dabei in der Rolle des Coaches und Sparringpartners und stellt eine positive Candidate Experience sicher.
Personalentwicklung
Gerade im Bereich der Führungskräfteentwicklung liegt die Aufgabe von HR darin, Manager in ihrer Rolle der Führung im agilen Setting zu unterstützen. Die Führungskräfte müssen darin bestärkt werden, sich von einem häufig hierarchisch geprägten Rollenverständnis zu lösen und sich zunehmend eine Rolle der Begleitung und Befähigung von Menschen zu erarbeiten.
Eine Organisation kann durch das HR mit der Einführung von Methoden wie stetigem und kontinuierlichem Lernen mittels moderner E-Learning Plattformen, OKR (Objectives and Key Results) und 360-Grad-Feedback auf dem Weg in die Agilität unterstützt werden.
Entlöhnung
Mittlerweile wissen wir, dass in agilen Unternehmen Teamziele wichtiger sind als individuelle Ziele, und gemeinsam erreichte Ziele zu einer höheren Motivation und Leistungsbereitschaft führen. Damit ist auch klar, dass variable Lohnbestandteile, die an individuelle Ziele der Mitarbeitenden gekoppelt sind, genau dieses Ziel verfehlen. Denn im agilen Kontext wird innerhalb von Teams in kurzen Zyklen (bereichsübergreifend) zusammengearbeitet, werden in kurzen Abständen Teamziele in kleine Etappen heruntergebrochen und regelmässig neu ausgelegt.
Das HR kann dabei mit der Abschaffung von individuellen Zielen oder der Änderung in Teamziele, Abteilungs- oder Unternehmensziele und mit der Einführung entsprechender Boni die Unternehmung auf dem Weg zum agilen Mindset unterstützen.
HR-Administration
Die Scrum Methode eignet sich hervorragend für Projekte und planbare Aufträge und ist aus der Softwareentwicklung nicht mehr wegzudenken. Doch wie sieht es mit regelmässig wiederkehrenden Prozessen und Abläufen innerhalb der HR-Administration aus? Welche agilen Ansätze können dort angewendet werden? Inputs und spannende Ansätze liefert Birgit Mallow (Agile Coach) mit der Kanban Methodik in diesem Interview.
Mit dieser Methodik steht das HR-Team jeden Tag vor dem Sprint-Board und wählt aus den entsprechenden Tasks die Aufgaben für den Tag aus. Das Team kann so rasch Engpässe und Hindernisse aufzeigen und diese ebenfalls im Team schnell diskutieren und dementsprechend Entscheide fällen. Das Kanban Board hat nebenbei durch die erhöhte Transparenz und Entscheidungsfreiheit aller Beteiligten motivierenden Charakter.
Fazit
Dass das HR die Unternehmung in vielen Bereichen auf dem Weg zur agilen Organisation unterstützen kann, steht für mich somit ausser Frage. Jedoch müssen wir HR Mitarbeitende mutiger werden und einfach mal einen Ansatz ausprobieren, in meinen Augen am einfachsten im Bereich der Rekrutierung und Administration. Und wenn’s mal nicht klappt, dann kann das Team halt wieder zurück zu klassischen Methoden gehen. Einfach mal probieren, Quick-Wins feiern und notfalls wieder back to basics: auch das ist «Agilität».
Jérémie Agard ist seit 2.5 Jahren bei JobCloud als HR Consultant tätig und absolviert aktuell berufsbegleitend den CAS «Employment Life Cycle» am IAP Zürich. Er ist im HR Team unter anderem für die Themen Employer-Branding sowie Personalmarketing verantwortlich.