Rekrutieren Sie neue Mitarbeitende? Dann sollten Sie nicht nur die professionelle Stellenausschreibung beherrschen, sondern insbesondere die eigene Wahrnehmung kritisch reflektieren. Bewertungsfehler können in jedem einzelnen Prozessschritt auftreten und zu einem Stolperstein beim Entscheiden werden. Je grösser die Anzahl der Beurteiler im Prozess ist, desto schwieriger wird die Entscheidung. Hier stelle ich Ihnen acht Wahrnehmungsfehler von Personalern vor und gebe Tipps, wie diese vermieden werden können.
1. Der sogenannte Halo-Effekt (gesprochen Heylo)
Sicher haben Sie von diesem Effekt schon gehört, etwa, wenn einzelne Antworten eines Bewerbers andere Antworten überstrahlen. Oder wenn eine Eigenschaft eines Bewerbers so prägnant ist, dass es alle anderen in den Schatten stellt. Selbst Namen von Kandidaten können bei den Interviewern Assoziationen auslösen. Besonders stark beobachtet man die Wirkung des Halo-Effekts, wenn z.B. Vorgesetzte auf eine bestimmte Verhaltensweise besonders grossen Wert legen. Wenn der Bewerber diese nicht zeigt, wird er allgemein schlechter eingeschätzt.
Beispiel: Der Vorgesetzte legt bei der Stelle als Verkaufsleiter erhöhten Wert auf ein kompetentes, selbstsicheres Auftreten. Der Bewerber zeigt alle gewünschten Fach-/Methodenkompetenzen, kann aber die gewünschte Ich-Kompetenz nicht zeigen. Er erhält eine Absage.
2. Der Primacy-Effekt
Eine Bewerberin hat sehr gute Bewerbungsgunterlagen zugeschickt. Sie tritt bereits in den ersten Minuten des Bewerbungsgesprächs sympathisch und positiv auf? Dann neigen die Entscheider automatisch dazu, den ersten Eindruck im Laufe der nächsten 90 Minuten nicht nur beizubehalten, sondern auch für sich selbst ständig zu bestätigen.
Das bedeutet natürlich auch, dass Bewerber, die von Anfang an mit ein, zwei unbefriedigenden Äusserungen negativ auffallen, im weiteren Gespräch kritischer beäugt werden als andere – auch wenn sie ihre positiven Merkmale nach und nach aufzeigen. Dieser Wahrnehmungsfehler wird von dem Sprichwort: «Du erhältst keine zweite Chance für den ersten Eindruck!» noch gestützt.
3. Abfolge-Effekt
Kennen Sie die unsichtbare Messlatte, die plötzlich besteht, wenn gerade der erste Bewerber überzeugend und ansprechend war? Alle folgenden Bewerber werden an seiner Person gemessen. Und anstatt ganz neutral jeden Bewerber einzeln wahrzunehmen, passiert es uns, dass wir vergleichen. Das ist weder fair noch neutral, aber es passiert.
4. Der Hierarchie-Effekt
Sie haben einen ehemaligen Geschäftsleiter eines DAX-Unternehmens im Gespräch? Oder hat ihr Bewerber einen Bestseller geschrieben oder entzückt Sie das Dr. Dr. Professor vor seinem Namen?
Bewerber sind Menschen – Entscheider und Interviewer auch. Die bekannte Fehlerquelle des Hierarchie-Effekts kann auch sie ereilen und die Wahrnehmung einschränken. Menschlich, aber nicht korrekt, ist es, Mitarbeitende einer «höheren Ebene» automatisch besser zu beurteilen als andere. Bitte bedenken Sie: Nicht der Beste wird gesucht, sondern der Passendste!
5. Der Kleber-Effekt
Tatsächlich gibt es Bewerber, die keine grossen Bewegungen in ihrem Lebenslauf zeigen. Sie sind treu, loyal und sehr vorsichtig bei der Stellensuche. Sie überlegen sehr genau, bevor sie sich bewerben.
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Bewerber im Gespräch. Sein Lebenslauf ist gradlinig und klar. Er arbeitet seit der Lehre nun schon über 15 Jahren für die eine bestimmte Firma. Aus den Unterlagen ist ersichtlich, dass er in dieser Zeit nicht befördert wurde. Wer länger nicht befördert wurde, wird leider immer wieder unterschätzt und muss besonders in einem Gespräch überzeugen. Also: Achten Sie auf den Wahrnehmungsfehler, der hier passieren kann.
6. Der «Similar-to-Me-Effekt»
Der Bewerber ist ein Abklatsch des Vorgesetzten? Gleicher Werdegang, gleiche Hobbys und sogar der gleiche Vorname? Wir alle neigen dazu, Parallelen zu anderen Menschen zu suchen und freuen uns, wenn wir diese finden. Sie wirken auf uns sympathisch und geben eine zusätzliche Sicherheit bei der Entscheidungsfindung.
Damit passiert ein häufiger Fehler: Bewerber werden aufgrund ähnlicher Eigenschaften besser beurteilt als andere, die vielleicht noch besser auf das gesuchte Profil passen. Aber wir wissen: Der Bauch entscheidet immer mit.
7. Der Nikolaus-Effekt (auch als Recency-Effekt bekannt)
In einigen Monaten ist es wieder soweit. Der Samichlaus kommt zu den Kindern und zitiert aus seinem goldenen Buch. Aber leider wird hier nicht das Verhalten vom ganzen Jahr repetiert, sondern insbesondere die Tage der letzten Wochen. Bekannt ist dieser Effekt besonders durch Fehler, die in der Personalbeurteilung passieren können. Gerade die Mitarbeitenden, die sich kurz vor dem Mitarbeitergespräch besonders erfolgreich verhalten, erhalten eine bessere Beurteilung und umgedreht.
Nun geht es hier aber besonders um die Personalauswahl, und hier beschreibt dieser Effekt folgendes Phänomen: Die letzten Statements in einem Bewerbungsgespräch können oftmals die Wahrnehmung stärker beeinflussen als die ersten.
8. Benjamin-Effekt
Berufsanfänger sind oft unerfahren, sei es in Bewerbungsgesprächen oder im Arbeitsleben. Tendenziell trauen Vorgesetzte wie Personaler diesen Bewerbern weniger zu als älteren Bewerbern.
Beispiel: Der 18-jährige Bewerber um eine Stelle als Logistiker kann neben einem 24-jährigen Bewerber kaum punkten. Die Entscheider haben ihre Bewertung schon im Kopf, und sie werden alles dafür tun, diese bestätigt zu sehen.
Diese 8 Beurteilungsfehler können Ihre Entscheidungen wesentlich beeinflussen und in der Folge dazu führen, dass nicht immer die passendsten Personen angestellt werden. Aber wie gelingt es nun, diese Beurteilungsfehler zu vermeiden?
Hier meine 2 Tipps:
Tipp 1:
Objektivität ist Trumpf, und diese erreichen Sie nur, indem Sie Beobachtung und Bewertung strikt trennen. Halten Sie die Antworten der Bewerber und Ihre Beobachtungen dazu genau fest. Die eigentliche Bewertung machen Sie erst zum Schluss. Nehmen Sie stets das Anforderungsprofil mit zur Hand und besinnen Sie sich immer wieder, wie die Idealperson sein sollte.
Tipp 2:
Jeder Interviewer sollte das gleiche standardisierte Bewerbungsgesprächsformular vor sich haben. In diesem Formular ist genau festgehalten, wer welche Rolle in dem Gespräch hat. Das Formular basiert auf dem Anforderungsprofil, welches die Vorgesetzten gemeinsam mit dem Line Manager erstellt haben. Hier ist eine genaue Gewichtung vermerkt. Dieses wird einzeln ausgefüllt. Die Erstbeurteilung erfolgt immer allein. Erst zum Schluss kommen Sie mit den Entscheidern zusammen und tauschen sich aus.
Vermeiden Sie Fehlerquellen in der Selektion, dann gelingt die richtige Entscheidung.