In der Schweiz ist der offene und tolerante Umgang mit Gays am Arbeitsplatz nach wie vor nicht überall eine Selbstverständlichkeit. Daher möchte das „Swiss LGBTI-Label“ Arbeitgeber, die einen besonders gay-friendly Arbeitsplatz bieten, von nun an auszeichnen. Ein Interview mit Moreno della Picca über das Label und warum es notwendig ist.
Mathias Steger: Um was geht es beim Swiss LGBTI-Label genau?
Moreno della Picca: Unternehmen können mit einem LGBTI-Label ausgezeichnet werden, wenn ihre Unternehmenskultur- und -politik in Bezug auf die LGBTI-Community* besonders offen und tolerant sind. Für die Entwicklung des Labels arbeiteten führende Schweizer Unternehmen, Organisation mit Schweizer LGBTI-Dachverbänden zusammen. Insbesondere Network gay leadership und Wybernet, zwei Berufsorganisationen, waren dabei federführend. Unternehmen mit dem LGBTI-Label sollen von einer kompletten Offenheit gegenüber der LGBTI-Community zeugen. Mitarbeitenden soll es somit auch leichter fallen, offen mit ihrer Sexualität umzugehen und sich nicht verstellen zu müssen.
Nur wer sich wohlfühlt und sich nicht verstellen muss, erbringt auch vollen Einsatz.
Ob hetero oder gay, das muss doch bei der Arbeit nicht jeder wissen. Warum sind Sie der Meinung, dass das Thema sexuelle Orientierung im Job zur Sprache kommen sollte?
Stimmt. Sexuelle Orientierung ist im Grunde Privatsache. Aber wer in einem Unternehmen arbeitet, nimmt auch eine Berufs- und Organisationsrolle wahr. Ist das Umfeld nun homophob, ist das für Betroffene sehr schwierig. Nur wer sich wohlfühlt und sich nicht verstellen muss, erbringt auch vollen Einsatz. Forschungen zeigen, dass ungeoutete Personen nicht ihr volles Potenzial bei der Arbeit ausschöpfen können – 10 bis 20% geringere Leistung aufgrund des Versteckens und Verstellens. Zudem kommt auch auf der Arbeit das Privatleben im Gespräch immer wieder auf. Bereits bei Fragen, die immer wieder gestellt werden, wie „Was machst du am Wochenende?“ oder „Hast du Familie?“, müssen ungeoutete Menschen bereits ausweichen.
Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um das Label zu erhalten?
Über die Website www.lgbti-label.ch können sich Unternehmen für das Label bewerben. Die Unternehmen füllen dann einen Fragebogen aus, anhand dessen ausgewertet wird, wie LGBTI-friendly sie sind. So kann man feststellen, ob eine Diversity & Inclusion-Strategie im Unternehmen vorhanden ist und ob diese auch schwarz auf weiss festgelegt ist und durchgesetzt wird. Die Auswertung erfolgt in Form eines Berichts, mit welchem dann eine Kommission für die Vergabe das Unternehmen in einem Punktesystem beurteilt. Maximal können 100 Punkte erlangt werden. Bei bereits 20 Punkten erhält man das Label. Mit dem Endbericht erhält das Unternehmen Empfehlungen, welche Massnahmen noch ergriffen werden können, um sich noch mehr zu bessern. Auf unserer Website werden dann die ausgezeichneten Unternehmen – ohne erreichte Punkteanzahl – veröffentlicht.
Was kostet das LGBTI-Label?
Grossunternehmen zahlen einen einmaligen Betrag von CHF 2‘000 und KMU CHF 200. Das Label ist dann für 3 Jahre gültig. Nach dieser Zeit muss man sich wieder bewerben. Für das LGBTI-Label können sich alle Unternehmen aus der gesamten Schweiz bewerben.
Wie kann ein Unternehmen das Label nutzen?
Alle sprechen von Fachkräftemangel. Wenn Unternehmen nun zeigen, dass sie Personen aller sexuellen Orientierungen wertschätzen und auch für die LGBTI-Community Raum schaffen, dann bin ich fest davon überzeugt, dass dies mehr potenzielle Mitarbeitende anzieht.
Sind KMU schwieriger zu erreichen?
Für KMU gibt es einen vereinfachten Bewerbungsprozess und einen verkürzten Fragebogen. Dort schauen wir hauptsächlich darauf, ob es die Absicht und Bereitschaft gibt, als gay-friendly Arbeitgeber aufzutreten.
Was geschieht wenn ein Unternehmen das Label nicht erhält?
Dann würden wir diesem ein Feedback und Empfehlungen geben, was es machen sollte, um das Label zu erhalten. So kann es sich verbessern und das Label vielleicht in der Zukunft erhalten.
Was kann man sich unter einer Diversity & Inclusion-Strategie vorstellen?
Ein Unternehmen kann beispielsweise in seinem Leitbild oder auf der Website kommunizieren, dass ihm die Integration der LGBTI-Community wichtig ist und es einen offenen Umgang mit ihr pflegt. Es sind auch andere Schritte möglich, zum Beispiel, wenn Unternehmen zu LGBTI-Events stehen und bei der jährlichen Pride sich transparent zeigen. Die Personalgrundsätze könnten auch so definiert werden, dass Gays, Lesbians und Transgender-Mitarbeitende Unterstützung erhalten und von Diskriminierung geschützt sind. Möglich wäre auch eine Gay-Community innerhalb des Unternehmens, die von diesem unterstützt und gefördert wird.
Das Label wurde diesen Sommer lanciert. Was wollt ihr bis Ende des Jahres erreichen?
Das Ziel liegt bei zehn Unternehmen mit einem Label auszuzeichnen, idealerweise fünf Grossunternehmen und fünf KMU.
Gibt es bereits Unternehmen, die mit dem Label ausgezeichnet werden?
Momentan haben noch keine Unternehmen das Label definitiv erhalten, der Bewerbungs- und Vergabeprozess ist noch in vollem Gange. Nennenswert sind aber die Pioniere, die bei der Entwicklung und Umsetzung des LGBTI-Labels mitwirkten. Die Zürcher Kantonalbank, die Schweizerische Post, die SBB oder auch Mercer Schweiz sind alle Kandidaten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das Label demnächst erhalten.
Gibt es Unterschiede unter den Branchen, wenn es darum geht, offen gay zu sein?
In manchen Branchen ist es leichter zu der eigenen sexuellen Orientierung zu stehen: beispielsweise in der Dienstleistungsbranche, im Gesundheitswesen oder im Consulting-Bereich. In anderen hingegen ist es immer noch schwieriger homosexuell oder transgender zu sein. Besonders „männerdominierte“ Branchen wie auf dem Bau oder das Militär.
Aufklärungsarbeit ist immer noch notwendig.
Glauben Sie, dass Homosexuelle in der Schweiz nach wie vor am Arbeitsplatz nicht ausreichend integriert und akzeptiert werden?
Aufklärungsarbeit ist immer noch notwendig. In Polizeistatistiken ist erkenntlich, dass Homophobie nach wie vor präsent ist. Meiner Meinung nach, haben wir das Ziel noch nicht erreicht. Für die LGBTI-Community fehlen nach wie vor ausreichend rechtliche Grundlagen. Im Diskriminierungsschutz ist die sexuelle Orientierung nicht enthalten. Deshalb bleibt die Aufklärungsarbeit wichtig.
Wie profitieren die Mitarbeitenden von dem Label?
Die Mitarbeitenden sehen anhand des LGBTI-Labels, dass ihr Unternehmen progressiv in der Integration und im Antidiskriminierungsschutz sind. So sind sie versichert, dass sie akzeptiert und wertgeschätzt werden. Zudem können sie ihre volle Arbeitsleistung erbringen, da sie sich nicht verstecken müssen.
Am 26. März 2019 werden in Zürich den ersten Unternehmen das Swiss LGBTI-Label verliehen.
Moreno della Picca ist als selbstständiger Managementcoach und Organisationsberater in Zürich tätig. Ausserdem hat er in der Funktion als Vorstandsmitglied von Network gay leadership – www.network.ch – im CoreTeam des Swiss LGBTI-Labels – www.lgbti-label.ch – an der Entwicklung und Umsetzung des Labels mitgewirkt.
*Der Begriff LGBTI umfasst alle Personen, die sich in ihrer sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen von der Bevölkerungsmehrheit abweichen. Die Abkürzung ist im Diversity & Inclusion Management hilfreich, darf aber nicht zu Stereotypisierung dieser Mitarbeitenden führen.