Über «Prozessitis» in Unternehmen und die Lohnburka, die man lüften muss – zweiter Teil vom Interview mit Jörg Buckmann

Im ersten Teil des Interviews mit Personalmarketeer und Autor Jörg Buckmann haben wir über Humor und Floskeln in Stelleninseraten gesprochen. Im zweiten Teil geht es nun darum, wie man auf die Bedürfnisse von Kandidaten eingehen kann, warum «Prozessitis» Bewerber vergrault und weshalb Arbeitgeber die Karten beim Lohnpoker im Vorhinein auf den Tisch legen sollten.

 

In deinem Buch «Personalgewinnung mit gesundem Menschenverstand» schreibst du, dass man bei der Personalgewinnung auf die Bedürfnisse von potenziellen Bewerbern und aktuellen Mitarbeitern eingehen und diese ernstnehmen sollte. Wie schafft man das?

Immer geht das natürlich nicht. In einem Unternehmen kann man nicht einfach tun und lassen, was man will. Deswegen sind Abläufe und Richtlinien selbstverständlich notwendig. Auffällig ist aber, wie zahlreich die Prozesse und Abläufe häufig sind. Alle sprechen immer von schlanken Strukturen und flachen Hierarchien, aber dennoch können sogar Kaderleute manchmal selbst kleinste Dinge nicht selbst entscheiden, weil ihnen die Kompetenzen fehlen. Und das macht die Leute fertig. Auch dämmt diese ganze «Prozessitis» die Kreativität unglaublich stark ein. Als Übeltäter wird dann häufig der Gesetzgeber verantwortlich gemacht, dessen Vorgaben man ja einhalten müsse – dabei sind das in den meisten Fällen vielmehr vorauseilender Gehorsam oder selbstauferlegte Regeln. Und mit dieser «Prozessitis» vergrault man viele Talente.

Vor lauter Prozessdenken und Reglementen geht den meisten einfach der gesunde Menschenverstand verloren.

Unternehmen gründen ja genau aus diesem Grund Spin-offs oder eigene Start-ups , weil die Kreativität, Schnelligkeit und Agilität in den Prozesssümpfen verloren geht. Ich kenne kein Unternehmen, welches damit wirbt, seine Prozesse oder Abläufe abgeschafft oder entschlackt zu haben. Oder Unternehmen, die mit konkreten Beispielen aufzeigen, wie sie die Kompetenzen von Mitarbeitern erhöht haben. Nur schon Spesenreglemente sind eine Mühsal: Der Betrag einer Tageskarte muss in einem aufwendigen Prozess ins SAP eingegeben werden. Oder wenn sich jemand aufgrund einer Empfehlung eines Mitarbeitenden bewirbt, aber der Kandidat das Häckchen nicht am richtigen Ort im Formular gesetzt hat – und der Mitarbeitende die Prämie dann nicht erhält. Vor lauter Prozessdenken und Reglementen geht den meisten einfach der gesunde Menschenverstand verloren.

Neben dieser abschreckenden «Prozessitis» gibt es häufig auch im Bewerbungsprozess unterschiedliche Wissensstände zwischen Lohnvorstellung und -angebot. Dein Plädoyer fordert Lohntransparenz – aber bringt man sich als Arbeitgeber nicht in eine sehr schlechte Verhandlungsposition, wenn man den Lohn transparent kommuniziert?

Das Lohnthema im Bewerbungsprozess ist etwas, was mich furchtbar aufregt! Die Diskussion über den Lohn ist in Deutschland, Österreich und in der Schweiz dieselbe: Sie existiert nicht, denn übers Geld spricht man nicht. Im Bewerbungsprozess herrschen jedoch ganz andere Voraussetzungen, denn da geht es darum, die eigene Arbeitskraft für einen Lohn zur Verfügung zu stellen. Deshalb ist es auch verständlich, dass für Bewerbende der Lohn ein sehr wichtiges Thema ist – das belegen auch zahlreiche Studien. Aber eigentlich brauchen wir diese Studien gar nicht. Es reicht schon, sich die Frage zu stellen, ob ein schönes Interior-Design Grund genug ist, um arbeiten zu gehen. Die Antwort ist selbstverständlich nein. Denn andere Dinge sind viel wichtiger: Entwicklungsmöglichkeiten, das Team und spannende Arbeiten – und natürlich der Lohn! Und da startet mein Ärger: Arbeitgeber stellen riesige Wunschkataloge mit Kriterien für die Stellensuche zusammen, wobei die Benefits immerhin teilweise genügend, der Lohn hingegen ganz bewusst nicht genannt wird. Manchmal, weil es «halt schon immer so gemacht wurde». Manchmal aber auch, damit Arbeitgeber beim Lohnpoker mit einem Vorsprung bei der Informationsverteilung am längeren Hebel sitzen.

Ganz schräg ist, dass der Bund zwar eine interne Lohntransparenz hat, aber die Externen im Unwissenden lässt. Es ist längst Zeit, diese Lohnburka zu lüften.

Und warum muss man gerade beim Lohn pokern? Bei der Pensionskasse, den Arbeitszeiten oder Benefits geht das nicht – aber den Lohn verschweigt man bewusst. Oft sogar in der Hoffnung, dass der Bewerber, oder eben gerade die Bewerberin, nicht allzu hohe Lohnforderungen stellt. Die reiben sich dann die Hände, weil sie nicht so viel ausgeben müssen wie eingeplant. Und das ärgert mich am meisten, denn ein Arbeitsverhältnis so zu starten, ist ja eigentlich ein Witz. Aus Personalmarketing-Optik kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, weshalb diese wesentlichen Informationen bewusst zurückgehalten werden. Was dieses Theater soll, frage ich mich. Ich finde das extrem unfair und ich bin überzeugt, dass diese Intransparenz auch ein Grund für den Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern ist – weil Männer dazu tendieren, grossmäuliger zu sein. Frauen schätzen sich hingegen realistischer ein, daher pokern sie auch in der Lohnverhandlung nicht so dreist wie Männer. Das mag stereotypisierend klingen, ich bin aber überzeugt, dass da was dran ist. Es regt mich umso mehr auf, wenn ich daran denke, dass Bund, Kantone und Städte trotz all ihren Gleichstellungsbüros nicht mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Löhne – die ja sowieso irgendwo im Internet auffindbar sind – nicht transparent machen. Ganz schräg ist, dass der Bund zwar eine interne Lohntransparenz hat, aber die Externen im Unwissenden lässt. Es ist längst Zeit, diese Lohnburka zu lüften.

Was sind die Vorteile, wenn man die Lohntransparenz herstellt?

Es ist vom Arbeitgeber ein klares Zeichen von Gelassenheit und Offenheit – und dass man nichts zu verstecken hat. Und das nur schon mit Lohntransparenz in Stelleninseraten. Wer das macht zeigt auch gegen innen, dass man nichts zu verstecken hat. Aus der Personalmarketing-Perspektive geht es um die Befriedigung der Kandidaten-Bedürfnisse – und der Lohn ist ein Riesenbedürfnis, das befriedigt werden kann.
 
Im dritten Teil geht es dann um Storytelling und was das HR genau mit Marketing und Sales zu tun hat. Melden Sie sich jetzt beim Newsletter an und erhalten Sie automatisch unseren monatlichen Newsletter.

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