Über Löhne spricht man hierzulande (immer noch) nicht… Daher sind in der Schweiz gewöhnlich Lohnangaben in den Jobinseraten ein Tabu. Gewöhnlich – denn beim Universitäts-Kinderspital Zürich ist das anders. Sonja Auf der Maur, Bereichspersonalleiterin beim „Kispi“, hat mir von ihren Erfahrungen mit Lohnangaben in Stellenangeboten berichtet.
Mathias Steger: Wann und wie kam es zu den Lohnangaben im Stelleninserat beim Kinderspital Zürich?
Sonja Auf der Maur: Wir haben uns 2014 dazu entschlossen, unser Stelleninserat vollständig neu zu gestalten. Unser Ziel war – auch aufgrund des Fachkräftemangels im Pflegebereich – das Design zu modernisieren und den Inhalt ansprechender zu gestalten und uns so von den anderen Spitälern abzuheben. Aus einer Studie wussten wir, dass Bewerbende eine Lohnangabe im Jobinserat wünschen. Daraufhin entschieden wir uns, genau das zu tun und in unseren neuen Jobinseraten den Lohn anzugeben. Begeistert von dieser Idee waren am Anfang bei weitem nicht alle unsere Entscheidungsträger. Also haben wir einen Testlauf in einer Direktion gemacht und aufgrund der positiven Resonanz die Lohnangaben immer weiter ausgebaut.
Wie hat sich die positive Resonanz gezeigt?
Bei der Auswertung unserer interaktiven Stelleninserate haben wir festgestellt, dass das Register Lohn mit Abstand am meisten angesehen wird. Das hat dann auch die Geschäftsleitung von der Sinnhaftigkeit der Lohnangaben überzeugt. Ausserdem merkten wir, dass durch Lohnangaben im Stelleninserat nichts Schlimmes passiert. Auch die Rückmeldungen der Bewerbenden waren – und sind immer noch – positiv. Diese schätzen, dass der Lohn im Vorhinein klar ist und im Vorstellungsgespräch diesbezüglich keine unangenehmen Diskussionen geführt werden müssen.
Auf Ihren interaktiven Stelleninseraten wird eine Lohnbandbreite angeben. Dabei unterscheiden sich die Minimal- und Maximalangaben beträchtlich. Warum?
Unser Lohnsystem lehnt sich am offiziellen Lohnmodell des Kantons Zürich an. Bei diesem gibt es Lohnklassen und Lohnstufen. Je nach Alter und Berufserfahrung steigt man in einer gewissen Stufe ein und kann dann mit der Zeit weiter aufsteigen. Bei den Stelleninseraten geben wir eine Spannbreite an, weil wir bei offenen Profilen – etwa bei einer Pflegefachkraft – sowohl eine(n) Berufseinsteiger(in) als auch jemanden mit 20 Jahren Erfahrung ansprechen möchten.
Auch die Rückmeldungen der Bewerbenden waren – und sind immer noch – positiv. Diese schätzen, dass der Lohn im Vorhinein klar ist und im Vorstellungsgespräch diesbezüglich keine unangenehmen Diskussionen geführt werden müssen.
Gibt es aufgrund der Lohnangaben in Ihren Stelleninseraten und der genauen Lohneinstufung weniger Spielraum für Lohnverhandlungen?
Es gibt praktisch keinen Verhandlungsspielraum. Die Lohnstufe für neue Mitarbeitende wird mit einer Punktzahl entsprechend Alter, Aus- und Weiterbildung und Berufserfahrung berechnet. Das ist ein mathematisches und transparentes System. Natürlich kann es sein, dass wir aufgrund der Bewerbungsunterlagen jemanden einstufen und sich uns im Bewerbungsgespräch weitere Informationen bezüglich besonderen Erfahrungen oder Kompetenzen des Bewerbers erschliessen, aufgrund derer die Einstufung noch leicht angepasst werden kann.
Kommt es trotzdem vor, dass Bewerbende versuchen, zu verhandeln?
Es gibt vereinzelt Fälle, in denen Bewerbende der Meinung sind, sie gehören in eine höhere Lohnstufe oder mit dem berechneten Lohn nicht zufrieden sind. Da versuchen wir, unser System so gut wie möglich zu erklären. Meistens haben die Bewerbenden dann Verständnis für die Einstufung und schätzen die Transparenz. Natürlich gibt es auch Einzelfälle, bei welchen Interessenten ihr Bewerbung aufgrund höherer Lohnvorstellungen zurückziehen.
Wie sieht es dann bei Lohnerhöhungen aus?
Auch dafür haben wir ein Modell. Wir haben jedes Jahr im April eine Lohnrunde. Bei guter Leistung – dies beurteilt der Vorgesetzte – bekommen die Mitarbeitenden bis zu einer bestimmten Stufe jedes bis jedes vierte Jahr automatisch eine Lohnerhöhung.
Ich wünsche mir mehr Mut von anderen Unternehmen. Das Bedürfnis der Bewerbenden nach Lohnangaben in Stelleninseraten besteht und ich kann bestätigen, dass nichts Schlimmes passiert, wenn man diesbezüglich transparent ist.
Was sind die Reaktionen anderer Unternehmen? Wissen Sie von Schweizer Unternehmen, die Ihrem Beispiel gefolgt sind?
Wir haben viel positives Feedback von anderen Unternehmen bekommen. Viele finden unser Vorgehen toll und erstrebenswert. Zur tatsächlichen Umsetzung kommt es dann aber in den wenigsten Fällen. Soviel ich weiss, hat kein Spital nachgezogen. Ich wünsche mir mehr Mut von anderen Unternehmen. Das Bedürfnis der Bewerbenden nach Lohnangaben in Stelleninseraten besteht und ich kann bestätigen, dass nichts Schlimmes passiert, wenn man diesbezüglich transparent ist.
Hat sich die Quantität und Qualität der Bewerbungen geändert?
Es gibt aufgrund der Lohnangabe vielleicht etwas weniger Bewerbungen, dafür passendere. Wenn sich jemand deutlich oberhalb des angegebenen Lohnbandes sieht, wird er oder sie auf eine Bewerbung verzichten. Das erspart den Bewerbenden sowie uns Aufwand, was wir für beide Seiten als grossen Vorteil sehen.
In Ländern wie Österreich ist es gesetzlich verpflichtend, den gesetzlichen Minimallohn im Stelleninserat anzugeben. Was halten Sie davon?
Ich persönlich finde Lohnangaben gut und anstrebenswert. Aus den bereits erwähnten Gründen, aber auch, um die Lohngleichheit von Mann und Frau weiter zu fördern. Ob die Transparenz jedoch erzwungen werden sollen, ist eine andere Frage. Die Tendenz soll auf jeden Fall in diese Richtung gehen. Ich glaube aber, dass viele Firmen zurzeit noch ein Problem damit hätten, da sie über kein klares und einheitliches Lohnsystem verfügen.
Wissen im Kinderspital alle, wieviel die anderen verdienen?
Ich habe das Gefühl, dass die Leute bei uns viel über den Lohn reden. Wer aber genau in welcher Lohnstufe ist, wird nicht öffentlich bekanntgegeben. Für bestehende Mitarbeitende haben wir Lohnsprechstunden eingeführt, um ihnen bei Bedarf die Berechnung der Lohnstufe genau zu erklären.
Warum ist das Thema Lohntransparenz in der Schweiz nach wie vor ein Tabu?
Ich glaube, dies ist kulturell und gesellschaftlich bedingt. Diese Einstellung kann man nicht von einem Tag auf den anderen Tag ändern. Es ist eher ein Prozess der Veränderung, der sehr langsam vorangeht, aber ich habe den Eindruck, es geht in die richtige Richtung.
Sonja Auf der Maur ist seit 6,5 Jahren Bereichspersonalleiterin im Universitäts-Kinderspital Zürich und seit 2004 im HR tätig.
Lohncheck auf jobs.ch für mehr Lohntransparenz
Um einen Beitrag für mehr Lohntransparenz zu leisten, gibt es auf jobs.ch neu den Lohncheck. Dieser gibt nicht nur Jobsuchenden die Möglichkeit, ihren Lohn einzuschätzen und je nach Branche und Region zu vergleichen, sondern kann auch im Recruiting als Salärbaromter nützlich sein.