Das 1. St. Galler New Work Forum der FHS St. Gallen im Januar 2018 stand unter dem Motto „Arbeitsplatz der Zukunft – Perspektive Mensch“. Dabei wurden vor allem Büroformen und Arbeitsmodelle der Zukunft, wie Jobsharing oder Gig Economy, und das verändernde Verhalten von Mitarbeitenden und Führungskräften diskutiert. Eine wichtige Rolle spielte auch das Thema mobil-flexible Arbeit, wie im Workshop von Anne Maigatter von der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW erörtert. Wir haben sie über Anforderungen und Herausforderungen der mobil-flexiblen Zusammenarbeit befragt.
Mathias Steger: Frau Maigatter, Sie haben letztes Jahr das Whitepaper „Führungsherausforderungen mobil-flexibles Zusammenarbeit“ herausgegeben. Wie kam es dazu?
Anne Maigatter: Unsere Forschung zu mobil-flexibler Arbeit hat bereits viele Aspekte wie die Verbreitung der mobil-flexiblen Arbeit in der Schweiz oder auch die Herausforderungen dabei abgedeckt. Dabei fiel uns auf, dass Führungskräfte bei der Einführung und Etablierung mobil-flexibler Arbeit eine entscheidende Rolle spielen, aber es dazu bisher noch wenige Beiträge gibt. Daher haben wir Forschungsbeiträge gescannt und zusammengetragen, vor welche Herausforderungen Führungskräfte im Speziellen gestellt werden.
Was versteht man genau unter mobil-flexibler Arbeit?
Darunter verstehen wir das zeitlich flexible und das örtlich mobile Arbeiten. Das heisst, es kann theoretisch zu jederzeit und an jedem Ort gearbeitet werden. Unterschiede zur Selbständigkeit oder zur klassischen Heimarbeit bestehen darin, dass der Mitarbeitende in einem Angestelltenverhältnis ist und es ein Stammbüro, also einen klassischen Arbeitsplatz, gibt.
Ist mobil-flexible Arbeit umfassender als Home Office?
Ja, Home Office ist ein Teilbereich der mobil-flexiblen Arbeit. Bei Home Office kann es sein, dass die Arbeitszeiten weiterhin klassisch geregelt sind, was bei mobil-flexibler Arbeit nicht der Fall sein muss. Hier kann man zum Beispiel zusätzlich die Arbeitszeiten an den eigenen Rhythmus anpassen oder an anderen Orten als zu Hause arbeiten, wie etwa in Coworking-Spaces, Bibliotheken oder Cafés. Dennoch bleibt das Home Office noch der Ort, an dem am meisten gearbeitet wird, wenn man nicht im Stammbüro ist.
Heisst das, dass sich in Zukunft alle Mitarbeitenden den Arbeitsort und die Arbeitszeiten aussuchen können?
Nein. Gemäss unserer FlexWork Survey 2016 können etwa 45% der Arbeitnehmenden aufgrund ihrer Aufgabe – etwa im Sozial- oder Gesundheitswesen – schon gar nicht mobil-flexibel arbeiten. Hier gibt es also schon branchenspezifische Einschränkungen. Wir sehen in der Praxis zudem, dass Mitarbeitende oftmals zwar die Möglichkeit haben, im Home Office zu arbeiten, es aber oft zeitlich noch sehr eingeschränkt wird, beispielsweise auf einen (halben) Tag pro Woche. Zudem wird mobil-flexibles Arbeiten auch erschwert, wenn die Teamzusammenarbeit räumliche Nähe erfordert oder die Unternehmenskultur nicht entsprechend ist. Daher ist die totale Freiheit, sich seinen Arbeitsort und die Arbeitszeit vollkommen eigenständig aussuchen zu können, an sich gar nicht möglich.
Fehlendes Vertrauen ist ein Killer für mobil-flexibles Arbeiten.
Kann dank mobil-flexibler Arbeit also auch mit Cocktail am Meer oder am Pool gearbeitet werden?
Da treffen Sie genau den entscheidenden Nerv. Bei mobil-flexibler Arbeit ist die Grenze zwischen Arbeit und Erholung extrem wichtig – sogar noch wichtiger als bei der klassischen täglichen Arbeit im Stammbüro – und die Freizeit darf nicht zu kurz kommen. Ferien bleiben Ferien und da soll nicht gearbeitet werden. Es kann aber natürlich sein, dass man mal auswärts an einem Kundentermin ist und sich danach an die Sonne zum Arbeiten setzt. Hier muss man sich vor allem die Frage stellen, ob die Umgebungsfaktoren passen, um konzentriert arbeiten zu können.
Sollen Unternehmen definieren, wo ihre Mitarbeitenden mobil-flexiblen arbeiten können?
Wir beobachten, dass es bei Unternehmen, die frisch mobil-flexibles Arbeiten eingeführt haben, sehr wichtig ist, genaue Regeln zu definieren. Zu Beginn sollten diese eher restriktiv sein, weil der Umgang mit dieser Freiheit erst gelernt werden muss. Hier kann zum Beispiel auch eine Beschränkung der möglichen Arbeitsorte gemacht werden und bei gutem Funktionieren können diese Beschränkungen dann aufgehoben werden.
Wie sehr wird mobil-flexible Arbeit in Schweizer Unternehmen heute praktiziert?
Man kann sagen, dass insgesamt ca. 38% der Erwerbstätigen in der Schweiz mobil-flexibel arbeiten, das entspricht rund 1.8 Mio. Erwerbstätigen. Davon arbeiten 14% nur selten mobil, weitere 14% des Öfteren und 10% der Erwerbstätigen arbeiten sehr häufig mobil. Zudem gibt es Branchen, in denen mobil-flexible Arbeit bereits in grossem Rahmen ausgelebt wird, wie die Informations- und die Kommunikationsbranche, hier sind es laut unserer Befragung bereits fast 70%. Interessanterweise gibt es keine eindeutigen Unterschiede zwischen KMU und Grossunternehmen.
Im Whitepaper werden vier Hauptherausforderungen für Führungskräfte genannt. Können Sie uns diese kurz beschreiben?
Die erste Herausforderung besteht darin, die Technologien gezielt einzusetzen, also etwa die richtige Kommunikationssoftware zu finden und die nötige Hardware mit Zugang zum Firmenserver bereitzustellen. Zweiter Punkt ist die veränderte Kommunikation. Diese findet vermehrt virtuell statt und dabei kann der informelle Austausch leiden. Daher ist es wichtig, dass sich Führungskräfte über das Befinden der Mitarbeitenden erkundigen. Allgemein scheint der Umgangston bei mobil-flexibler Arbeit in E-Mails lockerer zu werden, weil man den informellen Austausch darüber „abdeckt“ und auch häufiger Emojis verwendet.
Alles Drittes sind bestimmte Regeln für mobil-flexible Zusammenarbeit zu definieren, damit es nicht unkontrollierbar wird. Die vierte Herausforderung besteht in der Leistungsmessung. Wenn man die Mitarbeitenden nicht mehr im Büro sieht, ist es schwieriger, die Leistungen zu beurteilen. Dort erleben wir, dass Management by Objectives erfolgsversprechend ist. Es ist genau zu definieren, wie die Ziele festgelegt werden und ob bzw. wie diese erreichbar sind. Dazu gehört auch regelmässiges Feedback, jedoch ohne jeden einzelnen Schritt zu kontrollieren. Denn fehlendes Vertrauen ist ein Killer für mobil-flexibles Arbeiten.
Was sehen Sie als die schwierigste Herausforderung?
Ich glaube, das ist die Vertrauensfrage und auch die Aufgabe als Führungskraft zu klären, wie selbständig die Mitarbeitenden sind. Können die Mitarbeitenden mit der neu gewonnenen Freiheit umgehen? Was benötige ich als Führungskraft, um zu vertrauen? Dann geht es darum, die Vertrauenskultur auszubauen und das Missverständnis zu beseitigen, dass nur jene, die im Büro sind, wirklich arbeiten.
Bei mobil-flexibler Arbeit ist die Grenze zwischen Arbeit und Erholung extrem wichtig.
Besitzen Führungskräfte diese Fähigkeiten bereits?
Ich denke mir, dass eine Führungskraft allgemein sehr viel Offenheit und Neugier gegenüber neuen Möglichkeiten der Arbeit mitbringen sollte. Das Kennen der Mitarbeitenden und deren Arbeitsweisen war wahrscheinlich noch nie so wichtig wie heute und auch Themen wie die Arbeitsbedingungen im Home Office mussten nie angesprochen werden. Die Führungskraft widmet sich also verstärkt den einzelnen Mitarbeitenden und darf im Zweifelsfall auch vor dem Ansprechen privater und persönlicher Themen keinen Halt machen. Dass eine Führungskraft ihre Mitarbeitenden motiviert und analysiert, ist an sich nicht neu. Dass jedoch die Grenze zwischen Arbeit- und Privatleben dabei verschwimmt, macht die Führungsarbeit nicht zwingend einfacher – und bedarf viel Fingerspitzengefühl und Zeit.
Was müssen im Gegensatz dazu die Mitarbeitenden mitbringen?
Wichtig ist eine gesunde Portion Selbstreflexion. Sie müssen mit der Freiheit gut umgehen können und fähig sein, das für sich richtige Mass an Vermischung von Beruflichem und Privatem zu finden. Zu viel Arbeit in der Freizeit kann die Life-Domain-Balance schwächen und zu viel Freizeit während der Arbeitszeit kann die Produktivität und Konzentration mindern. Es gibt Leute, zu denen passt mobil-flexibles Arbeiten, andere benötigen jedoch stärkere Strukturen und einen Arbeitsplatz im Büro. Dazu braucht es auch Mut, sich das einzugestehen. Auf jeden Fall sollten sich Mitarbeiter mit ihrer eigenen Arbeitsweise auseinandersetzen.
Im Zusammenhang mit mobil-flexibler Arbeit hört man immer häufiger den Begriff Work Smart. Was ist damit genau gemeint?
Work Smart ist die intelligente Gestaltung von Arbeitsbedingungen und wird von uns auch als synonym für mobil-flexibel verwendet. Näheres können Sie bei der Work Smart Initiative nachlesen.
Wie sehen Sie das Potenzial für mobil-flexibles Arbeiten in der Zukunft?
Ich denke, dass es noch steigen wird. Ich gehe aber nicht davon aus, dass es in den nächsten Jahren eine extreme Veränderung gibt, der Prozess ist eher schleichend. Es ist wahrscheinlich, dass die Akzeptanz gegenüber mobil-flexibler Arbeit in den Unternehmen steigen wird – und letztlich auch die die Produktivität zunehmen kann.
Sie bieten in Ihrem Institut auch den Lehrgang „Psychologie flexibler Arbeit“ an. An wen richtet sich dieser und was sind die Schwerpunkte?
Zielpublikum sind all jene, die mit den neuen Arbeitsbedingungen konfrontiert sind und eine gewisse Verantwortungsstufe haben. Vor allem richtet sich der Lehrgang, der ein knappes Jahr dauert, an Projektleitende aus Branchen wie HR, Marketing, IT oder auch Facility Management. Dabei werden nicht nur die zeitlich und örtlich flexiblen Arbeitsbedingungen behandelt, sondern auch die Veränderung der Büro- und Infrastruktur, etwa bei einem Büroumzug.
Anne Maigatter ist Organisationspsychologin und seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW in Olten. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem mobil-flexibles Arbeiten und neue Organisationsformen. Sie ist Co-Autorin des White Paper Führungsherausforderungen mobil-flexible Zusammenarbeit.
Das nächste New Work Forum in St. Gallen findet am 9. Januar 2019 statt.