Doris Dinkel und die geheime Stellenausschreibung

Doris ist 36 und hatte gerade Babypause. Ihr Lebenslauf: Nach einer KV Ausbildung studierte sie an der Fachhochschule Betriebswirtschaft. Bis vor drei Jahren war sie in einem mittelgrossen Unternehmen dem CFO unterstellt und für das Controlling zuständig. Zu ihrer alten Stelle will sie nicht zurück. Deshalb bewirbt sie sich jetzt neu.
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Schon immer war Klettern die grosse Leidenschaft von Doris. Im Sommer stieg sie Felswände hoch und im Winter berührte sie die hohen Decken alter Fabrikhallen. Bei ihrer Suche nach einer neuen Stelle fing sie auch zuoberst auf ihrer Wunschliste an und wollte sich bei ihrem Lieblingshersteller für Kletterausrüstung bewerben. Auf der Website informierte sie sich über das Unternehmen. Sie fand viele Infos und sogar ein authentisches Video vom Tagesablauf eines Abteilungsleiters. Vernetzt war auch der LinkedIn-Auftritt der Firma. Hier fand sie Fotos von Mitarbeiterveranstaltungen – zuletzt war das Team klettern. Doris war begeistert. Doch eine Sache fehlte: Die Stellenausschreibungen.
Spontan ins Blaue
„Verdammt!“, dachte sie sich, als sie durch LinkedIn und Website klickte. Alles war drin, nur ein Stellenportal fehlte. Was Doris dann fand, war eine Seite mit dem Titel „Möchtest du zu uns?“. Doris nickte dem Bildschirm zu und klickte drauf. Dort stand, dass die Firma zwar zurzeit ein paar offene Stellen habe und auch wachsen wolle. Jedoch wolle der Kletterausrüstungs-Hersteller nur Mitarbeitende, die zu ihm passen. Niemanden, der sich eine Stellenausschreibung genau durchlese und sich dann im Gespräch so verhalte, damit der Eindruck entstehe, er passe darauf. Die Initiative solle vom Bewerber aus kommen. „In erster Linie muss der Mensch zu uns passen und nicht die Expertise“, las Doris. Darunter stand eine Telefonnummer. Doris überlegte nicht lange und rief an. Nach einem kurzen Gespräch über Kletterwände, Kletterausrüstung und Babypausen hatte Doris Dinkel ihr erstes Vorstellungsgespräch im Sack.
Nicht dank einer offenen Stellenausschreibung hatte sich Doris beworben, sondern dank einer geheimen Stellenausschreibung. Manchmal läuft es auch unter dem Namen „Reverse Recruiting“. Unternehmen sagen nicht, welche Stellen sie besetzen wollen, sondern präsentieren nur sich und ihre Kultur. Welche Expertise der Bewerber hat, ist in einem ersten Schritt unwichtig. Wichtiger ist, dass er ins Unternehmen passt. Gerade in grösseren Firmen findet sich danach schnell eine Aufgabe.
Christoph Jordi ist Gründer und CEO von DoD!fferent und schreibt hier einmal pro Monat als Gastautor. DoD!fferent bietet agile Strategieberatung mit Fokus auf Employer Branding. Jordi doziert zudem am Schweizerischen Institut für Betriebsökonomie und führt dort den Cert. Employer Branding Expert Lehrgang durch.

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