Das Praxispodium 1 füllt sich bereits gegen 15.00 Uhr. Eine knappe Viertelstunde später, kurz vor Beginn des Podiums, sind weit und breit keine Sitzplätze mehr verfügbar – ja sogar für Stehplätze wird der Raum knapp.
Franz Fischlin, zum 4. Mal in Serie als Moderator des jobs.ch-Podiums im Einsatz, eröffnet die Runde zum Thema „Direktansprache in der Rekrutierung – der letzte Ausweg?“ mit einer Vorstellung der drei Podiumsteilnehmer:
- Roger Renggli, HR Manager bei der bbv Software Services AG
- Gianni S. Raffi, Senior HR Manager Recruitment 2.0 bei der Swiss Life
- Rainer Gubler, Managing Director von der Humanis AG
«Ja, was wir tun, ist Abwerben»
„Ist Direktansprache nicht einfach ein schöneres Wort für Abwerben?“ will Fischlin von den Podiumsteilnehmern wissen. Das Wort „Abwerben“ sei negativ behaftet, findet Renggli. Es komme auf die Perspektive an. Aus Sicht des Kandidaten könne man von Abwerben sprechen, aus Sicht der Unternehmung bevorzugt er „Direktansprache“.
Abwerben sei es nur dann, wenn der Kandidat innerlich schon gekündigt habe und schon vor einer Anfrage bereit zum Wechsel ist, ergänzt Raffi.
„Ja, was wir tun, ist Abwerben“ drückt sich Gubler weit direkter aus.
Während man bei bbv seit letztem Jahr wieder auf den zusätzlichen Kanal via Head Hunter setze, rekrutiert Swiss Life weitgehend selbständig.
Bei Humanis beschäftigen sich 18 von 30 Personen mit der Direktansprache. Die Vielfalt der Mittel habe zugenommen – zum Einsatz kommen neben Social Media auch eigens entwickelte Instrumente, die Gubler hier nicht zu detailliert ausführen mag ;-). Um latent Suchende zu erwischen, gehe man sie teilweise mit einer weissen Lüge – einer Geschichte, die zu Beginn das eigentliche Ziel nicht erkennen lässt – an. So sei es auch möglich, abzuklären, wo die Person stehe, wie sie sich sehe etc.
Offen und ehrlich ansprechen
„Bei Swiss Life lügen wir nicht“, meint Raffi grinsend. Man gehe die Kandidaten sehr offen und ehrlich an. Die meisten seien dann an weiterführenden Informationen zur Vakanz interessiert. Diese Informationen müssen aber weit über die allgemeine Stellenanzeige reichen. Auch wenn einige Kandidaten nicht sofort an der Vakanz interessiert seien, weil sie die aktuelle Position noch nicht wechslen möchten, bleibe man oft in Kontakt. So könne es zu einem späteren Zeitpunkt doch noch zum Thema werden.
Renggli setzt auf Warmakquise. Man müsse die Kontakte pflegen, gerade auch zu Absolventen, einfach ständig dranbleiben. Kaltakquise werde nur im Notfall betrieben. Wenn immer möglich spricht Renggli die Kandidaten telefonisch an.
Woran erkannt man, wechselbereite Fachkräfte?
Renggli sieht folgende Faktoren, die eine Bereitschaft signalisieren:
- Dem Arbeitgeber geht es nicht mehr gut
- Abgeschlossene Projekte
- Abgeschlossene Weiterbildung
- Kandidat ist drei Jahre in der gleichen Position
Wichtig ist, dass man sich bewusst sei, wer die Zielgruppe ist, meint Raffi. Welche Skills braucht es wirklich? Das ist nicht zu verwechseln mit den Skills, die man als Linie gerne hätte.
Es braucht Profis und ein Konzept
Gubler sieht sich als Problemlöser. Es komme oft vor, dass Firmen, die ein Jahr lang erfolglos rekrutiert haben, bei Humanis anklopfen.
„Sind Renggli und Raffi Amateure?“ richtet Fischlin die Frage an Gubler. „Nein, das will ich ihnen nicht unterstellen“, schmunzelt dieser. Aber es brauche Profis und es brauche ein Konzept. Man muss den gesamten Prozess berücksichtigen. Dazu gehört z.B. die Frage, was mit direkt angesprochenen Kandidaten passiere, die am Ende nicht zum Zug kommen.
Klar, man wecke natürlich Hoffnung bei den Kandidaten, so Raffi. Auch hier solle man offen und ehrlich agieren. Swiss Life macht diesen Personen klar, dass sie ein sehr interessantes Profil hätten, aber nicht 100% zur vorliegenden Vakanz passe. Diesen Kandidaten werde angeboten, ihr CV in einem TalentPool zu speichern, um bei Gelegenheit wieder auf sie zurückzukommen. In 90% der Fälle stimmen die Kandidaten zu.
Fischlin möchte gegen Ende des Podiums wissen, ob der Einsatz von Headhuntern rendiere.
Renggli findet den Kanal zwar teuer, aber lohnend. Dies sei mehr ein Bauchgefühl, genaue Zahlen habe er dazu nicht. Das wundert Gubler nicht. Was kostet eine nicht besetzte Stelle? Wie viel kostet die vom HR eingebrachte Leistung? Das müsse für eine seriöse Beurteilung berücksichtigt werden. Die Bereitschaft diese Rechnung zu machen, sei noch nicht da.
Zum Abschluss will Fischlin wissen, wer welchen Podiumsteilnehmer abwerben würde.
Gubler: Entscheidet sich für Renggli wegen seinem Netzwerk zu IT-Spezialisten
Renggli: Entscheidet sich für Raffi wegen seiner Erfahrung in der Inhouse Research
Raffi: Hätte gerne einen Mix der beiden
Und so lässt sich das Podium typisch schweizerisch schliessen: diplomatisch und ausgeglichen.
Präsentation Podium