Die Schweiz setzt Social Media in der Praxis ein, aber nur 10% der Unternehmen stellen Social Media ins Zentrum ihrer Kommunikationsaktivitäten. Als grösste Herausforderung wird der Aufwand genannt, demgegenüber weniger Nutzen gesehen wird. Trotzdem wird steigende Bedeutung für Image und Absatz genannt.
Die zum zweiten Mal durchgeführte Social-Media-Studie von Bernet PR und der ZHAW erlaubt einen vertieften Einblick in die aktuelle Social-Media-Praxis von Schweizer Unternehmen. Insgesamt haben 419 Organisationen teilgenommen, wovon mit 54% die Einschätzungen und Erfahrungen von KMU am besten repräsentiert sind.
In der Praxis angekommen − aber ohne Strategie
Betrachtet man die wichtigsten Erkenntnisse, zeichnet sich ein klares Bild ab: Die Schweiz wagt endlich den Schritt in die Praxis, dies aber noch eher in einem versuchsweisen Ansatz. Zwei Drittel der befragten Unternehmen, Behörden und Organisationen pflegen aktiv ihren Auftritt in Social-Media-Kanälen. Die Hälfte davon tut dies aber ohne formulierte Strategie und ohne Monitoring-Massnahmen. Die meisten beschränken sich auf wöchentliche oder monatliche Erfolgskontrollen, bei denen Visits auf der eigenen Website, die Popularität in Form von Fans, Likes, Followers oder Retweets und das Engagement der Zielgruppen via Dialog, Kommentare und Teilnehmerzahlen bei Aktionen gemessen werden. Wenn ich die fehlende strategische Formulierung bzw. die fehlenden Monitoring-Aktivitäten bedenke, erstaunt es mich kaum, dass noch immer wenig Mehrwert erkannt wird und auch der Aufwand von mehr als der Hälfte der Befragten um ein Vielfaches höher eingestuft wird als der resultierende Nutzen. Interessant erscheint mir hier der Blick über den grossen Teich. Bei einer Umfrage bei 200 mittleren und grossen US-amerikanischen Unternehmen (Forrester/Dell 2011) bestätigten 98% eine aktive Nutzung von Social-Media-Kanälen und gaben an, diese professionell einzusetzen. In Sachen Image-Bildung dürfte uns allen noch die erfolgreiche letzte Wahlkampagne von Präsident Barack Obama in Erinnerung sein, in der alle möglichen Social-Media-Register gezogen wurden. Für den kommenden Wahlherbst dürfen wir also gespannt sein und die eine oder andere Inspiration hinsichtlich erfolgreicher Social-Media-Nutzung erwarten.
Dialog führen, Reputation pflegen und informieren
Als wichtigste Ziele für die Social-Media-Aktivitäten werden das Führen eines externen Dialogs (86%), die Pflege der Reputation (68%) und das Verbreiten von Informationen zu Produkten oder Dienstleistungen (62%) angegeben. Letzteres aber ohne den Anspruch, den Absatz steigern zu wollen (nur 28%). Schade eigentlich, denn gerade in diesem Bereich machen uns die Amerikaner einmal mehr vor, wie es gehen könnte. Die kleine Bäckerei, die jeden Morgen ihren Kunden auf ihrem Arbeitsweg via Twitter die Aktion des Tages verkündet, ist ein schönes Beispiel dafür, wie auch KMU via Social Media Bekanntheit und Absatz gekonnt steigern können. Oder das Paradebeispiel Tony Hsieh, CEO von Zappos (Link: www.zappos.com) (welcher dem in Europa mittlerweile besser bekannten Zalando als Vorlage gedient hat), der persönlich und direkt seinen Twitter-Channel (Link: https://twitter.com/zappos/) betreut und dank der dadurch vermittelten Glaubwürdigkeit nicht nur die Reputation des Unternehmens massgeblich (und günstiger als jede Image-Kampagne) aufgewertet und quasi en passant dessen Bekanntheit und Absatz massgeblich gefördert hat. Interessanterweise folgt als viertes Ziel in der Rangliste mit 53% der Nennungen die Angabe, den Trend nicht verschlafen zu wollen. Dem Hype folgen zu müssen, um nicht von der Konkurrenz überholt zu werden, scheint also nach wie vor ein grosser Motivationsfaktor zu sein und erklärt auch die mehrheitlich fehlende strategische Ausrichtung. Erst am Ende der Liste folgen als Ziele die Positionierung als innovativer Arbeitgeber und der interne Dialog. Die Vernachlässigung des internen Dialogs überrascht mich, vor allem wenn man bedenkt, welche Bedeutung Mitarbeiter bei der Rekrutierung haben könnten. Hier scheint die Theorie noch am weitesten von der Praxis entfernt zu sein.
Knappe Ressourcen, grosser Aufwand
Für die Erreichung der genannten Kommunikationsziele wendet nur etwa ein Drittel der teilnehmenden Organisationen eigene Social-Media-Budgets auf und setzt hauptsächlich auf interne Ressourcen bei der inhaltlichen Betreuung der Kanäle. Gerade bei einem starken Fokus auf Dialog und Reputation ist die interne Abwicklung naheliegend und empfehlenswert. Die Aufgaben werden laut Studie mehrheitlich auf bestehende Abteilungen verteilt, insbesondere die Marketing- und PR-Teams sind hier gefordert. Die Vermutung liegt nahe, dass neu entstandene Aufgaben zur bereits vorhandenen Auslastung der Teams hinzugefügt werden. Dies würde erklären, warum ein grosser Aufwand sowohl gegenwärtig wie auch für die Zukunft als grösste Herausforderung angesehen wird. Bei Betrachtung der gesetzten Ziele wäre eine neue Beurteilung und eventuell Verteilung der bestehenden PR- und Marketingmittel von Vorteil. Gerade hinsichtlich direkter Dialogmöglichkeiten (und der daraus resultierenden Imagepflege) bietet ein professionelles und offenes Social-Media-Engagement noch nie zuvor da gewesene Chancen. Ernsthaft konzipiert und umgesetzt ergeben sich für Unternehmen weitaus tiefere und weniger von Streuverlusten betroffene Dialogmöglichkeiten. Auch und gerade für KMU mit wenig bis gar keinen Budgets für grosse PR- oder Werbekampagnen.
Professionalisierung ist Zukunftsmusik
Immerhin sehen über die Hälfte der Unternehmen für die weitere Entwicklung vor allem die Bedeutung von Social Media für Image und Absatz. Daraus resultieren gemäss Angabe als Hauptaufgaben für die nächsten zwei Jahre die Erstellung und Ausweitung der Social-Media-Strategie unternehmensübergreifend und die Integration von Social-Media-Aufgaben in bestehende Funktionen. Hier ist zu hoffen – und von mir auch dringend empfohlen −, dass entsprechende Budgets gesprochen und den betroffenen Mitarbeitern die nötigen Zeitressourcen gewährt werden.
Die Studie zum Download:
http://www.bernet.ch/socialmediastudie
Micol Rezzonico hat langjährige Erfahrung in der Schweizer Online-Recruiting-Branche. Von 2008 bis 2014 war sie bei JobCloud als Teamleiterin für den Bereich Brand & Kommunikation verantwortlich.