In Zeiten des Fachkräftemangels müssen sich Unternehmen neue Strategien überlegen, um offene Stellen zu besetzen. In diesem zweiteiligen Beitrag werden fünf strategische und fünf operative Massnahmen vorgestellt, wie Unternehmen im Kampf um die besten Talente die Nase vorn haben können.
Von Anna-Maria Strässner und Adis Merdzanovic*
Der Fachkräftemangel hat den Schweizer Arbeitsmarkt fest im Griff. Dies belegt nicht zuletzt die im Herbst 2023 erschienene Studie der ZHAW, die in Zusammenarbeit mit JobCloud publiziert wurde: 56% der befragten 584 Unternehmen spüren den Fachkräftemangel und insbesondere Grossunternehmen leiden darunter. Die Folge davon ist, dass sich die Grundfrage des Recruitings umgekehrt hat: So heisst es heute nicht mehr «Warum soll unser Unternehmen ausgerechnet Sie einstellen?» sondern «Warum sollte ich als Arbeitnehmer:in ausgerechtet bei Ihrem Unternehmen arbeiten?». Es stellt sich für Unternehmen somit die Frage, was sie in dieser besonderen Situation tun können, um dennoch die besten Talente zu rekrutieren. Im ersten Teil dieses Beitrags erfahren Sie fünf strategische Tipps für ein gelungenes Recruiting.
1) Gehen Sie strategisch vor: Analysieren Sie Ihr Umfeld und positionieren Sie Ihre Employer Brand.
Employer Branding wird oftmals als Allerheilmittel im Wettkampf um die besten Mitarbeitenden beschrieben. Dabei geht es darum, sich als Unternehmen in den Augen der Arbeitnehmer:innen gut zu positionieren und positiv wahrgenommen zu werden. Dieses positive Image zu erreichen ist aber nicht nur Aufgabe des HR, sondern ein umfassender Prozess, in welchem sowohl HR, wie auch Marketing und die Geschäftsleitung beteiligt sein müssen. Diese sollten sich zusammensetzen und eine klare Ist-Analyse des Unternehmens vornehmen: Wie werden wir von potenziellen Mitarbeitenden gesehen? Wie wird die Konkurrenz gesehen? Wo können wir ansetzen, um unser Image allenfalls zu verbessern? Diese Fragen sollten analysiert und im Rahmen eines Ist-Soll-Vergleichs diskutiert werden, bevor spezifische Rekrutierungskampagnen oder Branding-Massnahmen in Angriff genommen werden.
2) Kennen Sie die Zielgruppe und entwickeln Sie eine gute Employer Value Proposition (EVP) für jede Zielgruppe.
Dass sich Unternehmen gegenüber potenziellen Mitarbeitenden als gute Arbeitgeber präsentieren müssen, ist besonders in Zeiten des Fachkräftemangels kaum mehr von der Hand zu weisen. Doch was macht einen guten Arbeitgeber aus? Für eine Person, die am Anfang ihrer Karriere steht, sind dies vielleicht die Aufstiegsmöglichkeiten und die Weiterbildungsoptionen. Für berufserfahrene Personen sind diese Aspekte vielleicht weniger wichtig als die berufliche Vorsorge. Unternehmen müssen entsprechend ein gutes Angebot für jede einzelne ihrer Zielgruppen zusammenstellen – eine One-Size-Fits-All-Lösung ist nicht möglich. Diese unterschiedlichen Employer Value Propositions (EVP) müssen dann auch zielgruppengerecht kommuniziert werden, beispielsweise durch spezifische Bereiche auf der Webseite, die sich an unterschiedliche Zielgruppen (Berufseinsteiger:innen, Wiedereinsteiger:innen, Fachkräfte in einem bestimmen Bereich, etc.) richten.
3) Vergessen Sie die bestehenden Mitarbeitenden nicht.
Bei Rekrutierungsproblemen bleiben ausgeschriebene Stellen oft längere Zeit unbesetzt. Weil aber die Arbeit in der Regel nicht weniger wird, werden die bestehenden Mitarbeitenden stärker beansprucht, was zu Unmut führen kann. Eine wichtige Aufgabe des Employer Brandings ist deshalb die Retention der bestehenden Mitarbeitenden. Dies sollte in erster Linie durch echte Wertschätzung geschehen, welche die Mitarbeitenden auch spüren müssen. Zur Steigerung der Motivation setzen viele Unternehmen auch auf die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, die Erhöhung der Löhne, zusätzliche Aus- und Weiterbildungen oder die Möglichkeit von Home Office.
4) Kreieren Sie ein «kommunikatives Grundrauschen» für Ihr Unternehmen.
In Zeiten des Fachkräftemangels leidet eine Gruppe von Unternehmen besonders: die Hidden Champions. Jene Unternehmen also, die zwar gute Arbeit leisten und auch einen guten Kundenstamm haben, aber über ihre Kreise kaum bekannt sind. Sie sind deshalb nicht im sogenannten «relevanten Set» der möglichen Optionen für potenzielle Bewerber:innen, schlicht, weil sie zu wenig bekannt sind. Denn die Stellensuche beginnt nicht in dem Moment, in welchem sich Arbeitnehmende neu orientieren wollen oder müssen. Unterbewusst läuft sie schon viel früher ab, wenn Arbeitnehmende bei bisherigen Arbeitgebern oder noch in der Ausbildung sind. In dieser Phase müssen Unternehmen ein «kommunikatives Grundrauschen» erzeugen, um überhaupt von potenziellen Arbeitnehmenden wahrgenommen zu werden. Dies kann durch Tage der offenen Tür, Sponsoring von Anlässen oder Vereinen oder beispielsweise die Zusammenarbeit mit Schulen und Hochschulen geschehen. Auch gezielt eingesetzte Employer-Branding-Werbung bietet sich hier an.
5) Vermitteln Sie Sinnhaftes.
Wenn sich Mitarbeitende die Jobs aussuchen können, werden sich die wenigsten für Jobs begeistern, denen sie keine Bedeutung zumessen. Dabei ist jeder Job an sich bedeutungsvoll, denn Jobs ohne Bedeutung müssen auch nicht gemacht werden. Insbesondere jüngere Generationen suchen sich Berufe aus, die Sinn stiften und beispielsweise einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Entsprechend gilt es im Rahmen des Employer Brandings die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit hervorzuheben.
Eine gute Strategie ist nur eine Seite der Medaille, es braucht auch eine erfolgreiche Umsetzung. Deshalb geben wir Ihnen im zweiten Teil dieses Beitrags fünf operative Tipps für ein erfolgreiches Recruiting an die Hand.
*Anna-Maria Strässner ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Marketing Management der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Hauptautorin der Employer Branding Studie 2023. Adis Merdzanovic ist Dozent am Institut für Marketing Management der ZHAW.