Doris bewarb sich bei einer Transportfirma, obwohl sie nicht gerne Auto fährt. Überzeugt hat sie das Kandidatenerlebnis. Erfreulich: Auch die Firma zeigte Interesse, denn Doris wurde eingeladen. Nicht etwa zu einem Vorstellungsgespräch, sondern zu einer Vorstellungsparty.
Am Telefon sagte Jolanda, es sei eine Feier, bei der sich Mitarbeitende mit potentiellen Kolleginnen und Kollegen treffen: „Wir starten um 16 Uhr. Wir machen eine Führung durch die Firma und Sie können in lockerem Rahmen mehr über uns erfahren. Zusammen mit zwei Kollegen aus dem Finanzbereich werde ich auch da sein und würde mich freuen, wenn Sie kommen könnten“. Doris erschien 10 Minuten zu spät am Hauptsitz. Grund dafür war eine Türstörung ihrer S-Bahn. Neben dem Empfang war eine Halle. Doris – als Finanzlerin, die mit Zahlen jongliert – schätzte etwa 30 Menschen.
Direkt kam eine etwas ältere Frau zu ihr. „Hey, du bist sicher Doris Dinkel. Ich hab deine blauen Haare erkannt“. Doris nickte, sagte aber nichts. „Ich bin Jolanda. Wir sind hier alle per Du – Ich hoffe, dass ist ok für dich?“, sagte sie und reichte ihr die Hand. Doris schüttelte die Hand und erwiderte: „Ah so ist das. Ja klar. Hallo Jolanda“. Jolanda führte sie in die Halle und gab ihr ein Mineralwasser. Doris erzählte von der Türstörung und erklärte, dass sie gerne Mineralwasser trinke. Dann führte sie Jolanda zu einem Stehtisch mit vier Personen. Eine erkannte Doris aus dem Video auf dem Stellenportal. Er trug ein Namensschild, ebenso sein direkter Nachbar. Dann waren da noch zwei ohne Namensschilder, wie Doris.
Der Video-Typ mit dem Namensschild nahm Doris direkt in das Gespräch auf. Thema waren die neuen Einfuhrzölle und die damit verbundenen Herausforderungen für Transportfirmen. Doris wusste, hier sind alle Finanzler ähnlich gestimmt. Sie diskutierte mit, war schnell Teil der Gruppe und analysierte die Runde. Der Video-Typ war eher extrovertiert und führte das Gespräch. Der andere Schildträger schien pflichtbewusst und überlegt. Sehr ähnlich dem einen Gast, der still war und nur auf direkte Fragen Antworten gab. Den letzten fand sie etwas unsympathisch, weil er den anderen ins Wort fiel. Insgesamt dauerte die Runde etwa eine Stunde, inklusive kleiner Führung durch die Firma. Doris fühlte sich wohl. Gleichzeitig war sie etwas beunruhigt. Waren die anderen Gäste am Stehtisch Mitbewerber um die gleiche Stelle? Der stille Kollege war ihr besonders aufgefallen: Er sagte nur Kluges. Die lockere Atmosphäre, die Du-Kultur, die Stimmung im Raum und die beiden angenehmen Gesprächspartner aus der Firma. Zuhause schrieb sie Jolanda eine E-Mail, bei der sie sich bedankte und ihr weiteres Interesse am Job kundgab.
An einer Bewerbungsfeier geht es um Firmenkultur und Sozialkompetenz. Doris konnte in lockerer Umgebung ihre potentiellen Kollegen kennenlernen. Sie wurde nicht einseitig mit Fragen durchlöchert und hatte Platz zum Atmen. Auf der anderen Seite sind Mitarbeitende in den Bewerbungsprozess eingebunden. Das stärkt Vertrauen und Bindung zum Unternehmen.
Christoph Jordi ist Gründer und CEO von DoD!fferent und schreibt hier einmal pro Monat als Gastautor. DoD!fferent bietet agile Strategieberatung mit Fokus auf Employer Branding. Jordi doziert zudem am Schweizerischen Institut für Betriebsökonomie und führt dort den Cert. Employer Branding Expert Lehrgang durch.