Die Netflix-Unternehmenskultur: Mehr Freiraum, mehr Selbstständigkeit, dafür null Kontrolle. Ein Erfolgsrezept?

Kennen Sie Netflix? Falls Sie ein Movie-Junkie sind wie ich, dann sicher. Aber keine Sorge, ich möchte heute nicht über Movies oder TV-Serien berichten, sondern über das Thema Ferien und den amerikanischen Trend „No Vacation Policy“ – seit mehr als drei Jahren und vor allem in Hightech-Unternehmen aktuell – bloggen.
Vor etwa einem Monat habe ich die Präsentation „Netflix Culture: Freedom & Responsibilities“ gelesen und gebe hier eine kurze Zusammenfassung.
Ambitionen
Die Präsentation zeigt auf, wie Netflix seine Mitarbeiter selektioniert, führt, fördert und zufrieden zu halten versucht. Zusammengefasst: „Mehr Freiraum, Performance-Driven Mitarbeitende und Selbstverantwortung“ stellen sicher, dass das Unternehmen flexibel, schnell und innovativ bleibt. Nachfolgend die sieben goldenen Arbeitskultur-Regeln von Netflix:

  1. Values Are What We Value – Das Unternehmen versucht Arbeitnehmer einzustellen, die Werte wie Ehrenhaftigkeit, Neugier und Mut vorleben. Interessant. Solche Werte habe ich in Unternehmensleitbildern bisher selten gefunden. Ob sie bei Netflix auch wirklich gelebt werden, ist meiner Meinung nach zweifelhaft.
  2. High Performance – Netflix glaubt, dass jeder Mitarbeiter mit inspirierenden, herausfordernden und Performance-Driven Teamkollegen zusammenarbeiten möchte. Ich finde die Idee zwar attraktiv, stelle mir aber vor, dass so eine Mentalität langfristig sehr anstrengend sein kann und zu ständigem grossem Konkurrenzdruck und Stress führt (was wahrscheinlich auch das Ziel ist).
  3. Freedom & Responsibility – Diesen Teil fand ich auch interessant. Je grösser eine Firma wird, desto weniger Prozesse und Regeln sollte man im Unternehmen einführen und desto mehr Performance-Driven Personen einstellen und fördern. So stellt Netflix sicher, dass das Unternehmen flexibel und schnell bleibt. Ob das funktioniert, weiss ich nicht, aber diese Sichtweise ist es sicher wert, ein paar Gedanken daran zu verschwenden. Zu diesem Aspekt habe ich auch ein Video gefunden. Es zeigt, wie Google mit dem Problem „zu viel Bürokratie und Prozesse“ umgeht. Mir scheint die Lösung „Burocracy Buster“ vielversprechend und eigentlich sehr einfach umsetzbar.
  4. Context, Not Control – Dieser Teil (Slide 80–86) hat mir extrem gut gefallen und deckt sich auch mit meiner eigenen Berufserfahrung. Ich finde die Inputs genau richtig und weiss, wie vorteilhaft so eine Zusammenarbeit funktionieren kann, aber auch wie zeitintensiv ein solcher Prozess ist. Den Mitarbeitern einen Kontext zu geben (z. B. mit klar definierten und erreichbaren KPIs, gut formulierten Zielen, klarer Rollenverteilung usw.) ist zwar ein langer Prozess, der sich aber am Ende des Tages sicher auszahlt.
  5. Highly Aligned, Lossely Coupled – Hier beschreibt Netflix die Kooperationsmodelle für unterschiedliche Abteilungen, die die gleichen Ziele verfolgen. Finde ich auch extrem interessant, vor allem weil Netflix glaubt, dass, solange alle Abteilungen klare Ziele vor Augen haben, die Zusammenarbeit mit ganz wenigen Abstimmungen und Sitzungen möglich sein sollte (fast ein Wunder).
  6. Pay Top of Market – Zu diesem Punkt braucht es wohl keine Zusammenfassung. Dass der Lohn wichtig für die Mitarbeiter ist, zeigt auch unsere Infografik.
  7. Promotions and Development – Auch hier scheint Netflix eine klare Linie zu verfolgen. Das Unternehmen bietet überhaupt keine „Karriereplanung“ für die Mitarbeitenden. Jeder Angestellte ist für seine eigene Karriere verantwortlich … solange diese Person eine Superstar ist … wenn nicht, dann bietet die Welt noch viele andere Möglichkeiten. Netflix vergleicht das „Talent Management“ mit Baseball (Slide 116) – eine bemerkenswerte Analogie.

Ferien
Der «Keine-Ferien»-Grundsatz
Die Unternehmenskultur von Netflix ist sicher faszinierend und extrem kompetitiv – was aber in der amerikanischen Arbeitskultur wenig überrascht. Bei einem Punkt möchte ich jetzt aber noch mehr in die Tiefe gehen, nämlich der „No Vacation Policy“, einer Massnahme, die gemäss Netflix die Regel Nummer 3, „Freedom & Responsibility“, fordert.
Vor etwa einem Monat fuhr ich im Auto Richtung Büro. Es war Anfang April. Das Wetter war schlecht. Wir hatten ein ziemlich arbeitsreiches erstes Quartal hinter uns, ich war erkältet und meine Energie befand sich auf einem ziemlich tiefen Niveau. Ich bin mir sicher, ihr alle kennt solche Tage, oder?
Damals habe ich mir gewünscht, bezüglich Ferien die gleiche Policy wie Netflix zu haben. Sprich: Es gibt keine Regeln. Netflix hat keine Richtlinien für die Ferien festgelegt. Die Mitarbeiter können selbst entscheiden, wann und wie viele Urlaubstage sie in Anspruch nehmen wollen. Genau an diesem Apriltag hätte ich mir gewünscht, ein paar Tage freinehmen zu können, ohne dafür eine Kürzung meines Ferienguthabens in Kauf nehmen zu müssen. Als ich dies gleichentags einer Kollegin mitteilte, staunte ich nicht schlecht über ihre Antwort: „Ja, aber leider kann man so etwas nicht einführen. Viele Leute können mit einer solchen Verantwortung und Freiräumen nicht umgehen, da einfach die nötigen Kompetenzen und die entsprechende mentale Einstellung fehlen.“
Aber Netflix scheint dieses Problem gelöst zu haben, da das Unternehmen einfach stark auf High Performance und Eigenverantwortung setzt. Wenn man liest, was von den Mitarbeitenden alles erwartet wird (ab Slide 9), dann ist es kaum möglich, dass diese die fehlende Ferienregelung zu ihrem Vorteil ausnutzen werden.
Seit dem Gespräch mit meiner Kollegin ist ein Monat vergangen (jaja … richtig … für diesen Blog brauchte ich etwas länger als sonst …) und ich habe das Thema vor Kurzem während einer Kaffeepause mit meinen jobs.ch-Arbeitskollegen angesprochen. Meine Frage lautete: „Angenommen, eine ‚No Vacation Policy‘ wäre gesetzlich möglich: Wäre dies für euch attraktiv?“ Und auch hier – aus meiner Sicht überraschenderweise – hat die Mehrzahl meiner Kollegen nicht positiv auf diese Idee reagiert. Der Grund dafür: Die Mehrheit glaubt, man würde am Ende noch mehr arbeiten und sogar noch weniger Ferien beziehen als jetzt. Und genau diese Vermutung bestätigt ein Artikel der Washington Post: „The catch of having an unlimited vacation policy“.
Und, liebe Leserinnen und Leser, was meint ihr zur Netflix-Arbeitskultur und zur „No Vacation Policy“? Wäre es einen Versuch wert, z. B. zwei bis drei Wochen zusätzliche bezahlte Ferien beziehen zu können, die die Mitarbeitenden selbst bestimmen könnten?
Micol Rezzonico hat langjährige Erfahrung in der Schweizer Online-Recruiting-Branche. Von 2008 bis 2014 war sie bei JobCloud als Teamleiterin für den Bereich Brand & Kommunikation verantwortlich.

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