Jahrzehntelang wurde uns erzählt, im Bewerbungsprozess zähle vor allem der erste, persönliche Eindruck, das proaktiv gesuchte erste Telefongespräch, die «Chemie». Das war einmal. Digitale Rekrutierung heisst der letzte Schrei. Der ideale Kandidat von heute wird mathematisch berechnet, er oder sie absolviert einen anonymen Online-Test und ein Analyseprogramm entscheidet, ob dem Kandidaten erlaubt wird, den nächsten Schritt zu machen. Dem Personaler bleibt nur noch der Klick auf OK. Fertig.
Kann diese neue Art der automatisierten Personalgewinnung wirklich funktionieren?
Tatsächlich setzen immer mehr Unternehmen auf ihrer Suche nach Talenten auf diese maschinenhörige Alternative. In Deutschland setzt zum Beispiel die Firma Bosch auf eine Bewerbungssoftware, mit der Kandidaten ihre CVs automatisiert in die Eingabefelder eines Online-Formulars übertragen lassen können – beziehungsweise müssen. Die Software sucht die passenden Angaben zu Ausbildung und beruflichen Stationen. Vollautomatisch, schnell und effizient.
In der Schweiz ist es das IT-Unternehmen Xerox, das auf die Macht von Algorithmen setzt. Bewerber für sein Call-Center filtert das Unternehmen mit Hilfe von Statistikprogrammen, die «wissen», welche Qualitäten die loyalsten Mitarbeiter aufweisen und prüfen, ob es beim Kandidaten Übereinstimmungen gibt.
Wirklich interessant dürfte die vollautomatische Nachwuchsbeschaffung hauptsächlich für grosse Konzerne sein, die Tausende von Stellen zu besetzen haben – und in der ersten Runde entsprechend viele Bewerbungen erhalten. Hier lohnt es sich am ehesten, das schwere statistische Geschütz aufzufahren. Für viele, vor allem kleinere Unternehmen, dürfte diese auf Effizienz getrimmte Rekrutierungsmethode noch eine ganze Zeit lang befremdlich anmuten – auch für die Kandidaten. Wenn es die schiere Menge an Bewerbungen nicht unumgänglich macht, ist es auch ein Employer Branding-Instrument für das Unternehmen, «Gesicht» zu zeigen, einen Menschen mit entsprechender Erfahrung auswählen zu lassen – und im Gespräch den persönlichen Eindruck höher zu gewichten als nackte Mathematik. Oder? Können taktisch gesetzte Kreuze und geschickt platzierte Schlagworte wirklich etwas zum Potenzial und der Kreativität eines Menschen aussagen? Bringen Softwarelösungen einen strategischen Mehrwert – oder können sie nur unterstützende Hilfsmittel sein?
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