Im Sommer bin ich über einen Artikel auf 20 Minuten gestossen, der mich auf den ersten Blick einigermassen erstaunt hat – auf den zweiten schon weniger. Worum geht es: Ein junger Amerikaner streicht bei Stellenbewerbungen seine Schwächen hervor – und hat angeblich damit mehr Erfolg als mit dem üblichen Hervorheben seiner Schokoladenseiten.
Sachen gibt’s… Da sind im Orell Füssli ganze Gestelle voll mit Ratgebern über richtiges Bewerben und darüber, wie man sich am Vorteilhaftesten darstellt, und dann diese fiese Schlagzeile:
Mit schlechtem Lebenslauf zum Joberfolg.
Getestet hat dieses Vorgehen ein junger Amerikaner. Jeff Scardino strich bei mehreren Bewerbungen seine Schwächen bewusst heraus. Gemäss 20 Minuten schreibt er anstatt Skills (dt. Fähigkeiten) Non-Skills und listet darunter auf, was er nicht kann. «Ich könnte pünktlicher sein» oder «Ich habe Mühe, mir Namen zu merken» sind nur zwei von fünf Punkten, die ihm Schwierigkeiten bereiten. Zu seiner Berufserfahrung fügt er an: «Im gesamten ersten Jahr bei meinem jetzigen Arbeitgeber habe ich nichts Nennbares produziert.»
Klingt verrückt, soll aber funktionieren. Denn Scardino verschickte parallel zu seinen „ehrlichen“ Bewerbungen unter einem anderen Namen jeweils auch ein Bewerbungsdossier in der üblichen, tendenziell schönfärberischen Tonalität.
Bewerben nicht immer einfach. Es gilt, die Aufmerksamkeit der Personaler auf sich ziehen und aus der Masse zu differenzieren. Von diesen Herausforderungen weiss auch Sandra Sibus zu berichten, die über ihre Erfahrungen als Stellensuchende auf ihrem Blog berichtet.
Warum funktioniert offenbar dieser „Scardino-Effekt“? Meine Hypothese: Scardino bedient eine Sehnsucht vieler Angestellten in den Personalabteilungen nach weniger „warmer Luft“, nach ehrlichen Bewerbungen. In Deutschland soll in bis zu einem Drittel der Bewerbungen mindestens „geflunkert“ werden. Auch wenn das Problem nach Ansicht von Experten wie Migros-Personalchef Hans-Rudolf Castell noch nicht ganz so gross sein soll – Schönfärberei wird auch hierzulande betrieben, und vermutlich nicht zu knapp.
Bewerberinnen und Bewerber können sich den Wunsch der Personaler nach ehrlichen Bewerbungen zu Nutze machen. Sie müssen ja nicht gerade eine High Risk Strategie fahren und ihre Schwächen so stark wie Scardino in den Vordergrund rücken. Mein konkreter Tipp an Jobsuchende: Seien Sie auch in Ihrer Bewerbung ehrlich und erwähnen Sie auch die eine oder andere weniger starke Seite von Ihnen. Der selbstkritische, gelassene Umgang mit Ihren Schwächen wird Ihnen als Stärke ausgelegt. Aber Achtung – wir sprechen von richtigen Schwächen und meinen nicht – gähn – die langweilige Standardschwäche „ich bin ungeduldig“ – die nämlich geht den Personalern so richtig auf den Wecker.