Der Internationale Frauentag ist auch 2019 ein Thema. Welche Rolle die Rekrutierungs-Branche in Bezug auf Gender Equality übernehmen kann, schilderte mir die Expertin Anne-Louise Swain, Laufbahncoach für Frauen in Zürich, in einem Interview.
Mathias Steger: Warum wenden Sie sich bei Ihrer Laufbahnberatung ausschliesslich an Frauen?
Anne-Louise Swain: Die Antwort liegt nicht in einer Marketingstrategie, sondern gründet vielmehr darin, dass ich für meine Tätigkeit als Laufbahncoach für Frauen brenne und einen anhaltenden Bedarf an Begleitung wahrnehme, die frauenspezifischen Aspekte bewusst einbezieht. Gerade Frauen sind oft mit frauentypischen Herausforderungen, wie Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, nicht linearen Lebensläufen, wenig Erfahrung im Erkennen eigener Bedürfnisse, mangelhaftem Selbstbewusstsein etc., konfrontiert. Diese Kundinnen wünschen sich keine althergebrachten patriarchal geprägten Ratschläge, die Stereotypen betonieren. Sie möchten Coaches, die ihre Anliegen ernst nehmen und verstehen. Viele entscheiden sich deshalb ganz bewusst für eine ganzheitliche Begleitung von Frau zu Frau.
Dass ich mich in den Laufbahncoachings ausschliesslich an Frauen wende, hat auch mit einer hohen Identifikation mit den Frauen und ihren Anliegen zu tun. Ich bin selber Mutter und war lange mit der Herausforderung, Berufstätigkeit, Kinder- und Elternbetreuung unter einen Hut zu bringen, konfrontiert. Das sind Themen, die viele meiner Kundinnen ebenfalls beschäftigen. Ich kenne also nebst den theoretischen Grundlagen Lösungswege aus der eigenen Praxis.
Wird Frauen der Wiedereinstieg bzw. die Jobsuche allgemein schwerer gemacht als Männern?
Ich nehme in der Tat wahr, dass in der Schweiz männlich orientierte, geradlinige Lebensläufe mit oftmals „seriellen“ Festanstellungen in logischen Karriereschritten, Richtwert sind. Weibliche Biographien, gerade wenn mit Betreuungssaufgaben verfrachtet, verlaufen häufiger weniger geradlinig. Damit sind die Herausforderungen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren, für Frauen und im speziellen für Wiedereinsteigerinnen, leider tatsächlich grösser.
Die grösste Herausforderung steckt aber aus meiner Sicht in den angeblich weiblichen Tugenden, die sich hartnäckig in unseren Köpfen halten. Eine Frau hat bescheiden, zurückhaltend und aufopfernd für die Familie zu sein. Dies kann sich dann auch im beruflichen Leben fatal auswirken. So fällt es vielen Frauen schwer, sich im Bewerbungsprozess zu positionieren, einen adäquaten Lohn zu fordern oder auch die Unterstützung bei einer Weiterbildung durch den Arbeitgeber einzufordern.
Es soll das Bewusstsein entstehen, dass gerade Frauen mit ihren oft sehr bunten Biographien eine besonders hohe Motivation mitbringen und auch bereit sind, sich über die geforderten Anforderungen hinaus zu engagieren.
Was kann im Rekrutierungsprozess getan werden, um Gender Equality zu forcieren?
Um die Gleichberechtigung besser zu gewährleisten, müssten aus meiner Sicht rekrutierende Personen und Führungskräfte in Bezug auf Vorurteile sensibilisiert und klischeehafte Vorstellungen aufgebrochen werden. Es soll das Bewusstsein entstehen, dass gerade Frauen mit ihren oft sehr bunten Biographien eine besonders hohe Motivation mitbringen und auch bereit sind, sich über die geforderten Anforderungen hinaus zu engagieren.
Den Frauen im Bewerbungsprozess empfehle ich, sich auf Vorurteile vorzubereiten. Dies ist übrigens auch ein Teil der Laufbahncoachings, wo ich mit Frauen ein massgeschneidertes Argumentarium im Bewerbungsprozess vorbereite, damit sie möglichen Vorurteilen mit Überzeugung begegnen können. Denn viele der gängigen Vorurteile sind haltlos und können im Vorstellungsgespräch entkräftet werden. Gerade Frauen über 50+ sind besonders häufig mit Vorurteilen konfrontiert. Wie beispielsweise, dass sie weniger interessiert sind als jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Neues zu erlernen. Tatsache ist jedoch, dass weiblichen Angestellten über 45 Jahre rund ein Viertel weniger oft eine Weiterbildung angeboten wird als Angestellten zwischen 35 bis 44 Jahren. Für ältere Angestellte erschwert sich somit eine kontinuierliche Anpassung an die sich rasch wandelnde Arbeitswelt. Eine eventuell verminderte Leistungsfähigkeit ist meist nicht auf das Alter zurückzuführen, sondern auf mangelnde Aus- und Weiterbildung. Ich motiviere die betroffenen Kundinnen, die Weiterbildungen der letzten Jahre hervorzuheben (auch aus dem Freizeitbereich) und/oder Beispiele aufzuzeigen, wo sie in letzter Zeit neue Aufgaben übernommen oder sich für ein Projekt engagiert haben.
Was halten Sie von anonymisierten Lebensläufen ohne Foto und Alter, um Bevorteilungen bzw. Benachteiligungen aufgrund von Alter & Geschlecht so gut wie möglich zu beseitigen?
Das wäre ein möglicher Ansatz. Es könnte noch ein Schritt weiter gegangen werden, indem Bewerbende ihre Namen und Herkunft anonymisieren, damit auch Personen mit Migrationshintergrund nicht benachteiligt sind. Oder auch, dass Kinder generell nicht erwähnt werden.
Als Laufbahncoach rate ich von einem solchen Vorgehen in der Regel ab und motiviere Bewerberinnen im Gegenteil dazu, die Karten auf den Tisch zu legen. Was nützt es den Betroffenen, wenn sie eingeladen werden und dann nach dem Vorstellungsgespräch aufgrund des Alters, Geschlechts etc., keine Chance auf eine Anstellung haben.
Wo sehen beim Rekrutierungsprozess das grösste Verbesserungspotenzial?
Immer mehr Grossunternehmen setzten bei der Vorauswahl von Online-Bewerbungen auf Algorithmus-Programme. Der traditionelle Weg, bei dem rekrutierende Personalverantwortliche oder Führungskräfte die Unterlagen sichten, wird immer mehr aus dem Bewerbungsprozess verschwinden. Ich beobachte diese Entwicklung mit Besorgnis, da gerade Frauen mit nicht linearen Lebensläufen, Migrantinnen mit Ausbildungen und Erfahrung ausserhalb der Schweiz sowie Frauen über 50 immer grössere Hürden zu bewältigen haben und durch die Raster der Algorithmen fallen. Hier sehe ich Verbesserungspotenzial und appelliere an die Rekrutierenden, Betroffenen, den Zugang zum Arbeitsmarkt weiterhin auch niederschwellig, mittels konservativer Bewerbungsformen, zu ermöglichen.
Meinen Kundinnen rate ich vorerst, im Netz oder über persönliche Kontakte zu prüfen, welchen Hintergrund die zuständigen Rekrutierenden oder potentiellen Vorgesetzten haben. Oft sind die Chancen um ein Vielfaches grösser, wenn diese in einem ähnlichen Alter wie die Bewerberinnen sind, ebenfalls Familie haben oder auch über einen Migrationshintergrund verfügen.
Rekrutierende sollten generell offen und interessiert sein für nichtlineare berufliche Lebenswege und sich bemühen, das Potential für ihre Unternehmen darin zu erkennen.
Was raten Sie Rekrutierenden, um möglichst geschlechts-unvoreingenommen Personal einzustellen?
Rekrutierende sollten generell offen und interessiert sein für nichtlineare berufliche Lebenswege und sich bemühen, das Potential für ihre Unternehmen darin zu erkennen. Es ist zudem wünschenswert, dass sich Rekrutierende die Mühe machen, im Gespräch offen für kreative damit familienfreundliche Lösungen und Arbeitszeitmodelle zu sein. Beispielsweise was Home-Office, flexible Arbeitszeiten, Jobsharing oder auch andere Strategien zur verbesserten Vereinbarkeit anbelangen. Dies betrifft allerdings nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die zunehmend auch ihre Rollen als präsente Väter einnehmen wollen und beispielsweise Teilzeit arbeiten möchten.
Anne-Louise Swain widmet sich seit über zehn Jahren ihrer Berufung – dem Laufbahncoaching für Frauen. Davor war sie bei einer Beratungsstelle für Frauen in Bern als Beraterin tätig. Seit knapp zwei Jahren ist Swain selbständig und hat ihr eigenes Geschäft mit Hauptsitz in Bern und einem zweiten Standbein in Zürich aufgebaut. Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.annelouiseswain.ch/