Ein Blick in die HR-Abteilungen zeigt, dass dort neue Technologien eher langsam Einzug halten. Die Lücke zwischen dem, was technisch möglich ist, und dem, was auch wirklich genutzt wird, wächst zu einem enormen Technologie-Gap. Künstliche Intelligenz, automatisiertes Matching oder intelligente Suche sind bereits verfügbar. Gleichzeitig kämpfen viele Unternehmen noch mit HR-Basis-Systemen, wie beispielsweise Lohnabrechnungen und simplen Personalstammdaten. Immer noch wird das Erstellen von «Stelleninseraten» geschult – als PDF, also vermeintlich digital. Hier hinkt also auch die Ausbildung hinterher.
Dabei könnte HR mittlerweile aus dem Vollen schöpfen: verschiedenste innovative Lösungen stehen zur Verfügung, mit denen HR-Prozesse vereinfacht und automatisiert werden können. Zahlreichen Start-ups und Akquisitionen lassen die digitale HR-Landkarte zwar durchaus verwirrend erscheinen, die Lösungen lassen sich dennoch in drei Bereiche fassen:
- Zahlreiche Start-ups bieten Recruiting-Lösungen an, mit teilweise sehr verschiedenen Ansätzen. Ein Beispiel dafür ist das Schweizer Startup LionStep welches mittels BigData neue Möglichkeiten im Active Sourcing ermöglicht.
- Neue Onboarding– und Performance-Management-Plattformen machen einen vielversprechenden Eindruck.
- Grosse Marktplayer wie SAP oder Workday werden ihr Produktangebot schrittweise erweitern und verbessern
- Auch JobCloud bietet für kleinere Unternehmen bereits ein integriertes Bewerbermanagement System an, welches viele Bedürfnisse abdeckt
- Ganz neue grosse Mitspieler treten auf den Markt, speziell LinkedIn mit Microsoft und Facebook sowie Google. Diese werden die HR Tech Landschaft in Zukunft prägen und beeinflussen.
Wenig überraschend, dass «Anpassung an Innovation» sowie «Workforce Training und Entwicklung» zu den zehn grössten Herausforderungen im Human-Ressources-Bereich zählen: Unternehmen sind gefordert, sich schnell anzupassen, sonst laufen sie Gefahr, von ihren Konkurrenten abgehängt zu werden. Die Herausforderung besteht vor allem darin, die Mitarbeitenden dazu zu bringen, Innovationen anzunehmen und neue Technologien zu erlernen. Kommunikation spielt dabei eine entscheidende Rolle. Bei jeder Änderung muss das Team das Warum, Wann und Wie verstehen.
Digitalisierung fordert neue Fähigkeiten
Vielleicht sind die neuen Technologien noch nicht wirklich ausgereift oder noch etwas ungewohnt in der Handhabung. Doch ist absehbar, dass die Technik schnell einfacher und leichter bedienbar wird. In der Regel lernen Menschen schnell, mit neuen Technologien umzugehen.
Allerdings ist die aktuell geforderte Umstellung durchaus tiefgreifend und mit vergangenen nur bedingt vergleichbar: Die aktuelle Digitalisierung bedeutet nicht, die analogen Prozesse zu digitalisieren, wie das beispielsweise beim Übergang von per Post und Fax eingereichten Bewerbungen auf E-Mail der Fall war. Die auf künstlicher Intelligenz und Sozialen Medien basierenden Technologien verändern Prozesse grundlegend und organisieren sie teilweise komplett neu. Sie setzen damit auf ein ganz anderes Bewusstsein und fordern neue Fähigkeiten. Auf persönlicher Ebene sind wir da bereits heute sehr erfahren, wie Kshitij Kashyap, VP of Human Capital bei der United Health Group, erklärt.
People-First-Ansatz als Lösung
Doch was ist dann der Grund, warum HR technologisch so hinterher hinkt? Ein möglicher Grund könnte in der Historie liegen. „HRTech basierte in erster Linie auf Technologien, die für das Unternehmen und nicht für den Mitarbeiter entwickelt wurden“, argumentiert Niel Nickolasien, Chief Technology Officer bei O.C. Tanner. Doch das ändere sich gerade. Der Mitarbeitende als Person rückt in den Mittelpunkt – mit seinen Erfahrungen und seinem Engagement. Das wird derzeit auch in HR-Kreisen viel diskutiert, wie beispielsweise auf der Unleash-Veranstaltung im Oktober 2018 in Amsterdam, dem DisruptHR oder der HRTechClub Night zum Thema künstliche Intelligenz im Recruiting.
Noch sind die meisten heute auf dem Markt verfügbaren HR-Technologien nicht mitarbeiter-, sondern organisationszentriert. Zwar ist die Personalabteilung oft in der Verantwortung, neue Technologie zu kaufen, die Endanwender dieser Technologien sind jedoch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Oft wird HR-Technologie implementiert, ohne zu hinterfragen, wie sich diese Benutzer normalerweise verhalten, wie sie davon profitieren und wie sie mit der Technologie umgehen.
Das ändert sich jetzt, da die Personalverantwortlichen zunehmend einen People-First-Ansatz verfolgen. Dabei geht es für Unternehmen vor allem darum, Entwicklungspotenzial Ihrer Mitarbeitenden zu identifizieren. Nickolasien weist darauf hin, dass Beschäftigte von Unternehmen beim Managen ihrer Karriere unterstützt werden möchten. Kurz gesagt: Sie erwarten, wie Kunden behandelt zu werden. Auch das bedeutet einen Bewusstseinswandel für HR.
Was haben Personaler und Kutscherfahrer gemeinsam?
Die Digitalisierung mit den zahlreichen neuen Technologien ist aus meiner Sicht eine grosse Chance im Bereich Human Capital. Allerdings müssen zum einen Unternehmen diese aktiv ergreifen und ihre ganz eigene digitale Reise beginnen. Ein kultureller Bewusstseinswandel, der die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellt, sowie ein solides Change Management, um die neuen Prozesse nachhaltig zu etablieren, sollten dabei feste Bestandteile sein. Grosse Marktplayer, Monopole und Strukturen halten sich in der Schweiz bekanntlich sehr gut und noch über einige Jahre länger, während es unter dem Deckel bereits modert. Personaler scheinen gerade in einer ähnlichen Situation wie die Kutscherfahrer um 1910 zu sein: Wenn wir nicht lernen, mit den neuen technischen Möglichkeiten schlau umzugehen, sind wir bald Nostalgie. Denn aufhalten lässt sich die Digitalisierung wohl kaum. Es gibt aktuell keinen Grund zu hoffen, dass alles nur heisse Luft ist und demnächst in sich zusammenfällt. Stattdessen werden die technischen Möglichkeiten weiter explodieren.